BOZEN – Am Samstag, den 9. November 2024 fand in Bozen zum zweiten Mal in Folge eine Fachtagung der Universität Innsbruck unter Mitwirkung des Südtiroler Bildungszentrums und des Südtiroler Schützenbundes statt.
Einleitend hob Prof. Hilpold, der die Tagung gestaltet und die Referenten ausgewählt hat, hervor, dass die Universität Innsbruck damit einem Bildungsauftrag nachkomme, der von der Zivilgesellschaft an die Universität herangetragen worden sei. Man komme diesem Auftrag gerne nach, denn dies sei auch eine Form der Legitimierung der Bildungsinstitutionen gegenüber der Öffentlichkeit. Zudem sei Erwachsenenbildung eine sehr dankbare Aufgabe, mit wissbegierigen und diskussionsfreudigen Zuhörern.
Die Tagung vom Vorjahr zur Minderheitenschule sei ein großer Erfolg geworden. Man hätte sich nicht erwartet, dass dieses Thema im Nachgang (Stichwort Goetheschule) eine derartige Brisanz erlangen würde. Auf der Tagung selbst seien aber viele Lösungsvorschläge angesprochen worden, die nun genutzt werden können.
Überraschungsgäste
Das diesjährige Thema „Heimat“ biete viele Zugänge und sei natürlich für Südtirol von besonderer Relevanz. Prof. Hilpold hob aber auch hervor, dass das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und territorialer und gesellschaftlicher Anbindung ein universelles menschliches Anliegen sei. Was einen drohenden Heimatverlust anbelange, hätte Südtirol besonders leidvolle Erfahrungen gemacht. Südtirol habe weltweit sehr viel Solidarität erfahren und habe nun die moralische Verpflichtung, ebensolche Solidarität gegenüber jenen zu zeigen, denen ein ähnliches Schicksal drohe. In diesem Zusammenhang wurden „Überraschungsgäste“ angekündigt. Am frühen Nachmittag wurde klar, um wen es sich dabei handelte: Zwei Vertreter des jesidischen Volkes, die in einem beeindruckenden und bewegenden Vortrag den Zuhörern das dramatische Schicksal dieses Volkes vor Augen führten. Unfassbare Verbrechen sind an diesem Volk im letzten Jahrzehnt verübt worden, insbesondere durch den „Islamischen Staat“. Tausende wurde getötet. Frauen wurden versklavt und geschändet. Kinder als Selbstmordattentäter missbraucht. Verrat an den Jesiden ist aber auch durch Nachbarvölker erfolgt. Einige hunderttausend Jesiden wurden von Deutschland aufgenommen und damit vor dem sicheren Tod gerettet. Die im Nordirak und in Syrien 2014 begangenen Verbrechen sind aber samt und sonders nicht aufgearbeitet oder gar gesühnt worden.
Hochkarätige Wissenschaftler
Zahlreiche weitere Vorträge hochkarätiger Wissenschaftler leuchteten die Thematik der Heimat, der Zugehörigkeit und von Flucht und Vertreibung aus. Dabei waren Politikwissenschaftler (Dr. Roland Benedikter, Bozen), Soziologen (Prof. Frank Welz, Innsbruck) und Völkerrechtler (Prof. Gilbert Gornig, Marburg) vertreten.
Einen besonderen Höhepunkt stellte das Abschlussreferat der früheren Rektorin der Universität Bozen, Prof. Rita Franceschini dar. Der Titel ihres Referats brachte eines der zentralen Grundprobleme in diesem Zusammenhang auf den Punkt: „Heimat – und wenn man keine mehr hat?“. Frau Prof. Franceschini zeigte die vielen Facetten des Heimatbegriffs in der Form eines Theaterstücks in fünf Akten auf. Sie hob dabei auch die Notwendigkeit hervor, Aufnahme durch eine Gemeinschaft zu finden – nur dann könne sich ein Heimatgefühl einstellen.
Perspektiven
Neben der internationalen Perspektive galt der zweite Schwerpunkt der Tagung der südtirolbezogenen Perspektive. Dabei standen einmal historische Elemente im Vordergrund, so im Vortrag von Dr. Margareth Lun zur Option. Des Weiteren wurde aktuelle Herausforderungen für Südtirol erörtert, nämlich der „Ausverkauf der Heimat“ (Karlheinz Ausserhofer und André-Benedict Niederkofler, mit einem Beitrag aus Tirol durch den Lokalpolitiker Josef Niedermoser) sowie die Frage des Lohnniveaus in Südtirol (durch Tony Tschenett), das für immer mehr Südtiroler Heimat in Südtirol kaum mehr leistbar erscheinen lässt. Tschenett hat aufgezeigt, dass das Lohnniveau in Südtirol bis 2008 über dem Durchschnitt in der Europaregion lag. In der Folge hat sich die Lohnsituation in Österreich aber erheblich verbessert, während Südtirol laufend zurückgefallen ist. Nunmehr droht für weite Teile der Arbeitnehmerschaft Altersarmut. Der Vorschlag zur Schaffung eines eigenen Sozialfürsorgeinstituts für Südtirol solle aufgegriffen werden. Mittlerweile wandere nicht nur mehr die akademische Jugend ab (bzw. kehre nicht mehr nach Südtirol zurück), sondern es wandern wegen des unzureichenden Lohnniveaus auch Mittelschul- und Oberschulabgänger aus, die in der Vergangenheit weniger mobil waren.
Eine interessante Perspektive wurde durch den Steuerrechtler aus Mailand, Prof. Nicola Sartori eingebracht: Sollte vielleicht auch das Steuerrecht so angepasst werden, dass Heimat in Südtirol finanzierbar wird? Prof. Sartori verwies dazu auf internationale Beispiele, mit denen genau dieses Ziel verfolgt wird. Für Berggebiete könnten steuerliche Anreize geschaffen werden.
Diskussion
An die Vorträge knüpfte eine intensive Diskussion an, in deren Rahmen viele der angesprochenen Themen nochmals vertieft wurden. Moderator Alfred E. Mair überraschte die Teilnehmer, indem er zu Beginn einen Song zum Thema „Heimat“ in Gitarrenbegleitung vortrug.
Dienst an der Öffentlichkeit
Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Roland Seppi, hat einleitend ausgeführt, dass der Südtiroler Schützenbund diese Tagung als Informationsveranstaltung mitorganisiert habe, als Dienst an der Öffentlichkeit, als Zeichen dafür, dass sich die Schützen für eine offene, unvoreingenommene Diskussion einsetzen und ein Forum bieten möchten, auf dem konstruktive Lösungen gefunden werden. Die rege Teilnahme des Publikums an dieser Tagung hat gezeigt, dass dieses Angebot auf fruchtbaren Boden gefallen und mit großem Interesse aufgenommen worden ist.
Dem Landeskommandanten wurde großes Lob ausgesprochen, dass er mittlerweile mit zwei Großtagungen neue Wege im Bildungsprogramm des SSB eingeschlagen habe, mit Programmen zur Breitenbildung auf hohem Niveau, offen für alle Interessierten.