Sepp-Kerschbaumer-Feier: Erinnerungskultur und politische Mahnungen

ST. PAULS – Am Freitag, den 8. Dezember 2023, wurde in St. Pauls im Rahmen der Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier in Würde und Anerkennung der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre gedacht. Rund 2.000 Marketenderinnen, Schützen und Tiroler Landsleute waren der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Heimatbundes und des Südtiroler Schützenbundes gefolgt.

Die Feier begann mit der Meldung der angetretenen Formationen und der anschließenden Frontabschreitung durch den Bürgermeister von Eppan Wilfried Trettl, den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes Major Roland Seppi, den Obmann des Südtiroler Heimatbundes Roland Lang und durch die Gedenkrednerin Gudrun Kofler, Abgeordnete zum Tiroler Landtag, die eine Enkelin des Freiheitskämpfers Jörg Klotz ist.

Nach der Frontabschreitung begleitete die Bürgerkapelle St. Michael die Schützen zum Kirchgang in den so genannten „Dom am Lande“. Pater Reinald Romaner zelebrierte die feierliche Heilige Messe und hob dabei besonders die Vorbildwirkung Sepp Kerschbaumers für Tirol hervor.

Nach dem Kirchgang marschierten die Teilnehmer zum Friedhof, wo Roland Lang die Anwesenden begrüßte. Wieder einmal nahmen zahlreiche Schützen, Marketenderinnen und Zivilbevölkerung an der Feier teil. Die starke Teilnahme breiter Bevölkerungsschichten unterstreicht, dass die Verdienste von Sepp Kerschbaumer und seiner Mitstreiter für unser heutiges Südtirol und die Autonomie breite Anerkennung finden und unbestritten sind und gerade in Zeiten, wie diesen, das Zusammenstehen als Tiroler wesentlich ist.

In Erinnerung gerufen werden anlässlich der Kerschbaumer-Gedenkfeier auch die Mitstreiter Sepp Kerschbaumers Franz Höfler, Anton Gostner, Luis Amplatz, Jörg Klotz, Kurt Welser und all jene Kameraden, die eine Strecke des Weges mit ihnen gegangen sind.

Die Gedenkrednerin Gudrun Kofler sollte es nicht nur bei einer historischen Rückschau auf Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter belassen, sondern äußerte kritische Worte zu den politischen Verhältnissen sowie zu anstehenden Koalitionen im Land:

Die Geschichte unserer Landes und Volkes ist nichts, was wir bei Bedarf herausholen und nachschlagen können, sie ist IN UNS. Sie bewegt uns, sie erzürnt uns, sie enttäuscht uns, sie bekümmert uns – und manchmal lässt sie uns auch hoffnungslos zurück. ABER: Schaut euch hier um. Schaut in diese Reihen junger und alter Männer und Frauen, Kinder, schaut in die Augen eures Kameraden und ihr werdet in jedem von ihnen auch ganz andere Dinge sehen: Entschlossenheit, Mut, Hoffnung, Stolz. Und ungebrochener Wille, sich nicht geschlagen zu geben – ganz egal, wie die Gefahr, die in diesen Zeiten aus Rom und aus weniger geschichts- und pflichtbewussten Reihen innerhalb der eigenen Landsleute – auch lauten mag“, ermahnte Gudrun Kofler.

Im Anschluss der Gedenkrede spielte die Bürgerkapelle St. Michael am ehemaligen Grab von Sepp Kerschbaumers das Lied vom „Guten Kameraden“. Die Ehrensalve feuerte die Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan unter Hauptmann Maximilian Schmid ab. Abgeschlossen wurde die sehr würdige Gedenkfeier mit der Tiroler Landeshymne und der Österreichischen Bundeshymne.

Der Landeskommandant Roland Seppi ermahnte die Südtiroler, angesichts der anstehenden Koalitionsgespräche auf den Minderheitenschutz und volkstumspolitische Themen zu beharren:

Wie will die SVP an einer modernen Region Tirol in Europa mitgestalten, wenn sie sich immer wieder ängstlich duckt, sobald der politische Wind aus dem Süden rauer wird? Wo bleibt das Selbstbewusstsein, wo bleibt das Aufbegehren, wo bleibt der klare Blick in die Zukunft? Es braucht nur irgendein unbedeutender Benito – Enkel das Wort zu ergreifen, und schon duckt sich die einst selbstbewusste Volkspartei weg. Wird dieses ängstliche Verhalten in der Sechser Kommission und in der neuen Landesregierung so weitergehen? Die nächsten Jahre werden es zeigen. Sie sind richtungsweisend. Wenn diese fragwürdige Koalition nicht liefert, verlieren zwei wichtige Minderheiten-Parteien ihr Gesicht. Und was noch schlimmer wäre: Die Österreichische Minderheit in Italien verliert noch mehr von seiner Würde!“.

Die starke Teilnahme breiter Bevölkerungsschichten ist ein Zeichen der Anerkennung für jene Männer und Frauen, die für die Freiheit der Heimat einen Teil ihres Lebens opferten und ohne die heutige Südtirol-Autonomie nicht denkbar wäre. Dies gilt es vor allem auch auf politischer Seite zu bedenken.

Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier in St. Pauls, 08.12.2023

Gedenkrede von Gudrun Kofler

Hohe Geistlichkeit, liebe Schützen und Marketenderinnen, Tiroler Landsleute!

„…Und plötzlich waren sie da und haben mich mitgenommen. Die folgenden Tage und Nächte waren grausam. 60 Stunden ohne Essen, Trinken und Schlaf. Die meiste Zeit in Habtachtstellung und zeitweise mit erhobenen Händen. Das Radio wurde auf volle Lautstärke aufgedreht, damit die Schreie der Gefolterten nicht nach draußen drangen. Sie hatten es verstanden, uns körperlich zu quälen, uns durch Verhöhnungen seelisch fertig zu machen und durch schlimmste Methoden unseren Willen zu brechen… Unsere Peiniger hatten keine Ahnung, warum wir das taten. Sie hatten nicht im Geringsten begriffen, worum wir kämpften. Dass wir aufgestanden waren, um unser Volkstum zu verteidigen und für die Freiheit unseres Landes zu kämpfen.“

Das ist ein Auszug eines Erinnerungsberichtes eines Süd-Tiroler Freiheitskämpfers zu den Geschehnissen nach der Feuernacht 1961.

Nicht geschehen in einem Land, das keine Rechte und Strukturen kennt. Nicht geschehen in Zeiten eines tobenden Krieges, wo nahezu alle Menschenrechte ausgehebelt werden. Nicht geschehen weit, weit weg und vor langer, langer Zeit.

Nein. Genau hier. Auf dem Boden dieses Landes, auf dem wir stehen. Verbrochen von Vertretern eines Staates, der sich selbst so gern als demokratisch und weltoffen bezeichnete.

Und – vor noch gar nicht so langer Zeit. Erst ein paar Jahrzehnte ist es her.

Die Wucht dieser Geschehnisse und unserer Geschichte bebt bis heute nach. Sie ist tief ins Volksgedächtnis eingegraben. Dort bewegen und berühren sie. Dort werfen sie Fragen auf und lassen uns nach Antworten suchen. Dort erinnern wir uns – ganz egal, wie lange Ereignisse zurückliegen. Die Seele eines Volkes ist immer in Bewegung und rührt sich – besonders auch dann, wenn Veränderungen anstehen – und: sie lernt, achtsam zu sein.

Wo stehen wir heute?

Wir stehen heute in Südtirol vor einer möglichen Regierung mit offen autonomie- und minderheitenfeindlichen Parteien. Wir stehen heute vor der Situation, dass ein großer Teil der Südtiroler Bevölkerung ganz deutlich gemacht hat, was er von der politischen Entwicklung in diesem Land hält und wie er sich die Zukunft vorstellt. Die politisch Verantwortlichen haben sich aber dazu entschieden, den Volkswillen mit Füßen zu treten und gehen vor gleich mehreren italienischen Parteien auf die Knie, um an der Macht zu bleiben.

Aus reinem Kalkül und zum Machterhalt werden Allianzen geschlossen, die neben unstabilen Verhältnissen wohl auch alles andere als rosige Zeiten für diesen Landesteil versprechen.

Mit einem bekennenden Feind der Südtirol-Autonomie und geistigen Nachfahren Tolomeis, wurde nicht nur ein mehr als fragwürdiger Experte als Präsident der Sechserkommission an die Spitze des für die Umsetzung der Autonomie zuständigen Ausschusses gesetzt, sondern dieser wird aus Rom künftig auch bei den Regierungsgeschicken in Südtirol ein gewichtiges Wort mitzureden haben.

Schon jetzt sind die deutsche Schule, unsere Kultur und das Ehrenamt in Südtirol in Gefahr. Schon jetzt werden Autonomierechte immer und immer wieder beschnitten. Schon jetzt geraten Volkstum und Identität immer wieder in arge Bedrängnis.

Es gibt nur einen wirksamen Schutz davor:
WISSEN und AKTIVE ERINNERUNGSKULTUR.

Ihr, wie ihr hier steht, habt es in euren Herzen – das Volk dieses Landes in seiner Seele – in seiner DNA, wenn man so will. Der Freiheitswille und der Wunsch nach Gerechtigkeit, wie sie unsere Freiheitskämpfer verspürt haben, ist weiterhin und deutlich spürbar – aber die Menschen brauchen Wissen und Sicherheit.

Wissen um die eigene Geschichte, die Vorfahren, das Geschehene:

Aus diesem Grund sind solche Gedenkfeiern wie die heutige so wichtig.

Es reicht nicht, die Geschichte Südtirols auf ein paar Seiten in einem Buch in seiner Stube zu wissen.

Es reicht nicht, Männer wie Kerschbaumer und seine Mitstreiter in einem Geschichtsbuch zu verewigen und zu hoffen, dass immer mal wieder jemand darüber liest und sie nicht vergisst.

Es reicht nicht, ihre Frauen und Familien in eben jenen Geschichtsbüchern in einem Nebensatz zu erwähnen und deren Einsatz und das Leid, das über so viele Menschen in diesem Land gebracht wurde, damit abzuhaken.

Liebe Landsleute! Wir haben einen Auftrag!

 Die Geschichte unseres Landes und Volkes ist nichts, was wir bei Bedarf herausholen und nachschlagen können, sie ist IN UNS.
Sie bewegt uns, sie erzürnt uns, sie enttäuscht uns, sie bekümmert uns – und manchmal lässt sie uns auch hoffnungslos zurück.

ABER: Schaut euch hier um. Schaut in diese Reihen junger und alter Männer und Frauen, Kinder, schaut in die Augen eures Kameraden und ihr werdet in jedem von ihnen auch ganz andere Dinge sehen: Entschlossenheit. Mut. Hoffnung. Stolz. Und ungebrochener Wille, sich nicht geschlagen zu geben – ganz egal, wie die Gefahr, die in diesen Zeiten aus Rom und aus weniger geschichts- und pflichtbewussten Reihen innerhalb der eigenen Landsleute – auch lauten mag.

„Die Hartnäckigen gewinnen die Schlachten!“
Ausgerechnet von einem der größten Widersacher der Tiroler in ihrer Geschichte, stammt dieses Zitat, Napoleon Bonaparte. Aber es ist wahr: Auch wenn Schlachten heute anders geschlagen werden, sind sie dennoch da. Selbst über 100 Jahre Fremdbestimmung haben es nicht geschafft, dieses Feuer auszulöschen. Selbst Folter, Mord, Gewalt, Unterdrückung, Verrat und politische Untaten und Verfehlungen haben es nicht geschafft, den Mut und Willen dieses Volkes zu brechen.

„Die Hartnäckigen gewinnen die Schlachten!“

Wir WISSEN um unsere Geschichte. Und mit dem Wissen darum, die Kenntnis über Menschen und Geschehnisse, kommt auch die Sicherheit. Die Sicherheit darüber, auf der richtigen Seite zu stehen. Die Sicherheit darüber, für eine gerechte Sache zu kämpfen – und die Sicherheit darüber, dass diese Sache gewiss nicht verloren ist.

Diese Sicherheit finden wir im Geist jener, derer wir heute hier gedenken und in den Herzen der Freiheitskämpfer der 60er-Jahre, die noch unter uns weilen – aber auch in den Herzen all jener, die heute hier stehen. Stark verwurzelt in der Heimat und in der Identität dieses Volkes.

Wir SIND auf der richtigen Seite – IHR seid auf der richtigen Seite!

„Im Sinne der Freiheit und Gerechtigkeit sei Du uns Vorbild!“ stand damals bei der Beerdigung Sepp Kerschbaumers auf dem Kranz der ehemaligen politischen Häftlinge und so wollen wir es auch heute halten:

Im Sinne der Freiheit und Gerechtigkeit sollen die Südtiroler Freiheitskämpfer uns Vorbild und deren selbstloser Einsatz für Volk und Heimat uns steter und unermüdlicher Auftrag sein!

Alles für Tirol!

Schützen Heil!

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