BOZEN – Der Südtiroler Schützenbund hielt am Dienstag, 28. März 2023 eine Pressekonferenz an der Bushaltestelle Kaiserau in Bozen ab, um die laufende Plakat-Aktion zur Toponomastik „100 Jahre Namenlos“ vorzustellen.
An der Pressekonferenz teil nahmen Landeskommandant Roland Seppi, Landeskommandant-Stellvertreter Christoph Schmid, Bundesgeschäftsführer Egon Zemmer, Kulturreferent Martin Robatscher sowie Bezirksmajor Peter Frank. Die Pressekonferenz in ungewohnter Umgebung sollte die laufende Plakataktion, die diese Woche landesweit läuft, den Medien erläutern. Der Südtiroler Schützenbund wählte durch die Plakataktion einen innovativen Weg, um ein flächendeckendes und generationenübergreifendes Interesse an den Ortsnamen zu erwecken.
„Hintergrund der Plakataktion sind 100 Jahre Italianisierung der gewachsenen Ortsnamen in Südtirol, die am 29. März 1923 durch den italienischen Faschismus erfolgte. Die faschistischen Namensdekrete bilden bis heute die alleinige Basis der Ortsnamengebung in Südtirol, was ein Schandfleck in der Südtiroler Nachkriegsgeschichte sei. Der Südtiroler Schützenbund weist auf den Missstand der Nicht-Amtlichkeit der gewachsenen Ortsnamen sowie auf nach wie vor gültige faschistische Dekrete hin und fordert die Südtiroler Politik zum politischen Handeln auf, da die Verantwortlichkeit bei der Region liege“, so Landeskommandant Roland Seppi.
„Hat es eine Kulturnation, wie es Italien zweifelsohne eine ist, nötig, auch heute noch, 100 Jahre nach dieser einschneidenden Assimilierungsmaßnahme, an faschistischen, am Schreibtisch erfundenen Fälschungen, festzuhalten? Wenn italienische Kulturgrößen wie beispielsweise Dante, Manzoni oder Pirandello zu Recht die stolzen Aushängeschilder italienischer Kultur sind, dann sind Mussolini, Tolomei und die faschistischen Schergen ein bis heute hin bestehender Schandfleck,“ erläuterte Martin Robatscher, der die Aktion als Kulturreferent des Südtiroler Schützenbundes federführend organisiert hatte.
Der Südtiroler Schützenbund will durch die Aktion ein Bewusstsein für die Ortsnamenfrage wecken und eine nachhaltige Lösung anstreben: „Eine historische Lösung der Ortsnamenfrage ist ein ehrlicher, gerechter und friedlicher Ansatz. Die faschistischen Fälschungen sind hierzu nicht geeignet und unterstreichen bis heute die Intention der Faschisten von 1923“.
Der Südtiroler Schützenbund ist sich bewusst, dass die Diskussionen langwierig und aufwändig werden würden. Diese müssen aber geführt werden, um endlich eine zufriedenstellende Lösung herbeizuführen. Die derzeitige politische Untätigkeit sei zu beenden.
Historischer Hintergrund
Die italienischen Bestrebungen, Südtirol bis zum Brenner hin einzuverleiben und durch Geschichtsfälschungen vorzubereiten, entstehen in Italien im 19. Jahrhundert. Ettore Tolomei verschrieb sich dieser Aufgabe bereits ab 1890. 1916 hatte Ettore Tolomei die erste Auflage seines „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ (eine Sammlung von ca. 300, größtenteils pseudoitalienischen Orts- und Flurnamen) herausgebracht. Im Jahr 1918 folgte ein „Repertorio dei nomi locali dell’Alto Adige“ von Ettore de Toni, dem Kopf der damaligen Reale Società Geografica Italiana. Beide Werke bildeten die Grundlage für das Königliche Dekret Nr. 800 vom 29. März 1923, das die „amtliche Lesung der Namen der Gemeinden und der anderen Örtlichkeiten der annektierten Gebiete“ vorsah, und zwar „zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Aktion zur Assimilierung der Bevölkerung des Hochetsch“.
(Das kgl. Dekret Nr. 800 vom 29. März 1923 setzt die „Amtliche Lesung der Namen der Gemeinden und der anderen Örtlichkeiten der annektierten Gebiete“ in Durchführung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlossenen „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen, wirksamen Aktion zur Assimilierung und Italianisierung“ fest.)
Die amtliche Lesung bezog sich nur auf die so genannten „italienischen“ Namen; die deutschen und ladinischen Namen wurden damit für amtlich ungültig erklärt.
Die zweite Auflage von Tolomeis „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ erschien im Jahr 1929 und beinhaltete nunmehr ca. 900, auch diesmal vorwiegend pseudoitalienische Namen. Die dritte und letzte Auflage erschien im Jahr 1935, und in dieser war die Anzahl von Tolomeis Namen auf über 8000 angestiegen. Dieses Handbuch bildete auch die Grundlage für das Ministerialdekret Nr. 147 vom 10. Juli 1940, mit dem zusätzlich die neueren Namen amtlich festgeschrieben wurden. Mit Königlichem Dekret Nr. 6767 vom 9. März 1942 wurden schließlich insgesamt 2432 italienisch klingende Namen für die öffentlichen Gewässer der Provinz Bozen genehmigt. Viele dieser Namen sind nicht einmal in der Drittauflage des „Prontuario“ von Tolomei enthalten. Sie wurden somit erst im Nachhinein italienisiert.
Die obgenannten faschistischen Namensdekrete bilden bis heute die alleinige Basis der Ortsnamengebung in Südtirol.
Stichwort „Nicht-Amtlichkeit“
Bereits im Jahre 2019 hat der Südtiroler Schützenbund auf die Situation der Nicht-Amtlichkeit der deutschen und ladinischen Ortsnamen hingewiesen. „Nicht Amtlich“ bedeutet, dass die deutschen und ladinischen Ortsnamen bis heute hin amtlich nicht gültig sind. Die amtliche Lesung bezog sich nur auf die so genannten „italienischen“ Namen.
Stichwort „Kulturnation Italien“
Hat es eine Kulturnation, wie es Italien zweifelsohne eine ist, nötig, auch heute noch, 100 Jahre nach dieser einschneidenden Assimilierungsmaßnahme, an faschistischen, am Schreibtisch erfundenen Fälschungen, festzuhalten? Wenn italienische Kulturgrößen wie beispielsweise Dante, Manzoni oder Pirandello zu Recht die stolzen Aushängeschilder italienischer Kultur sind, dann sind Mussolini, Tolomei und die faschistischen Schergen ein bis heute hin bestehender Schandfleck.
Aufruf an die Politik in Südtirol
Laut Artikel 8 Ziffer 2 des Autonomiestatuts sind die Provinzen befugt, auf dem Gebiet der Ortsnamengebung Gesetzesbestimmungen zu erlassen. Der Südtiroler Landtag ist somit das dafür zuständige Organ. Deshalb soll eine historisch korrekte Lösung dieser bis dato ungeklärten Situation von der Politik angestrebt und umgesetzt werden.
Viel zu lange war die Angelegenheit Ortsnamengebung ein politisches Schacherobjekt, bei dem nicht historisches Recht, sondern ausschließlich kurzfristige politische Überlegungen im Vordergrund standen. Die Südtiroler Landesregierung hat es zudem versäumt, in Südtirol, aber auch außerhalb Südtirols eine Bewusstseinsbildung für die Ortsnamensgebung zu schaffen.
Maßstab und Richtschnur für eine gerechte und nachhaltige Lösung der Ortsnamenfrage sollen die historisch gewachsenen Ortsnamen in Südtirol sein: Die deutschen, ladinischen wie natürlich auch die italienischen Ortsnamen, die historisch gewachsen sind. Die Verwendung erfundener und faschistisch etablierter Ortsnamen ist im Übrigen auch ein Affront gegen jene italienische Bevölkerung, die vor der Annexion in Südtirol lebte und historisch gewachsene italienische Ortsnamen verwendete.
Eine historische Lösung der Ortsnamenfrage ist ein ehrlicher, gerechter und friedlicher Ansatz. Die faschistischen Fälschungen sind hierzu nicht geeignet und unterstreichen bis heute die Intention der Faschisten von 1923. Der Umstand, dass auch heute auf italienischer Seite die Ortsnamenfrage – parteiübergreifend von links nach rechts – in nationalistischer Manier abgeschmettert und als etwas dargestellt wird, das den Italienern angeblich „genommen“ wird, auch in Orten, in denen die Bevölkerung ausschließlich deutsch- und ladinischsprachig ist, symbolisiert eine Schiefstellung in der öffentlichen Debatte, die durch Bewusstseinsbildung, öffentliche Diskussion und Aufklärung wieder eingeebnet werden muss.
Der Südtiroler Schützenbund ist sich bewusst, dass die Diskussionen langwierig und aufwändig sein werden. Diese müssen aber geführt werden, um eine zufriedenstellende Lösung herbeizuführen. Die derzeitige politische Untätigkeit ist zu beenden.