Warum es die Schützen in Südtirol braucht

BOZEN – Braucht es die Schützen in Südtirol überhaupt noch? Wir leben heute schließlich in einer guten Zeit: Wir haben einen gewissen materiellen Wohlstand. Wir haben eine hohe Lebenserwartung. Wir haben die Möglichkeit, unser Leben frei zu gestalten. Wir haben so vieles, wovon unsere Landsleute früher nur träumen konnten. Als militärische Landesverteidiger braucht es die Schützen sowieso nicht mehr. Diese Zeiten sind längst vorbei. In ganz Europa herrscht Frieden. Sind die Schützen in Südtirol also unnütz? Braucht es sie nicht mehr? Sollten sie lieber still sein und Ruhe geben? Ganz so einfach ist es nicht: Denn wir leben heute auch in einer unguten Zeit. Alles wird nur noch in Geld bemessen. Nur der materielle Wohlstand zählt. Sprache und Kultur werden dafür nur allzu oft leichtfertig geopfert. Immer wieder wird unser schönes Südtirol nach außen als Teil von „Bella Italia“ vermarktet. Es ist leider so: Wir Südtiroler verkaufen uns oft selber. Wichtige Errungenschaften des Südtiroler Autonomiestatutes werden heute wieder in Frage gestellt. Denken wir nur an den Proporz, den viele schon wieder abschaffen wollen, noch bevor ihn der Staat jemals ernsthaft eingehalten hätte.

Der Proporz hat uns Frieden und Wohlstand gebracht. Das sollten wir nie vergessen! Oder denken wir an unsere Deutsche Schule und den muttersprachlichen Unterricht: Immer weniger Deutschstunden, immer früher und immer mehr Stunden auf Italienisch, immer mehr CLIL-Unterricht (Sach- und Fachunterricht in der Fremdsprache). Und all das, obwohl die italienische Schule seit Jahren beweist, dass CLIL & Co. die Kenntnisse der Fremdsprache nicht verbessern. Wo soll das noch hinführen? Wollen wir eines Tages enden wie im Elsass oder in Aosta? Ich habe ganz sicher nichts gegen gute Kenntnisse der Fremdsprache: Ganz im Gegenteil! Ich bin davon überzeugt, dass unsere Kinder sehr gute Italienischkenntnisse brauchen und auch ein Recht darauf haben, diese Fremdsprache wirklich gut zu erlernen. Wenn aber unsere Schüler bis zum Ende der Mittelschule (8. Schulstufe) 1.100 Stunden Italienischunterricht haben und bis zur Matura (13. Schulstufe) sogar auf 1.700 Stunden Italienischunterricht kommen und dann die Sprache immer noch nicht beherrschen, dann muss man die Methoden ändern und nicht die Anzahl der Stunden immer weiter erhöhen. Wenn die Schüler die englische Sprache mit deutlich weniger Unterrichtsstunden in kürzerer Zeit weit besser erlernen, dann kann nicht die Anzahl der Stunden ausschlaggebend sein.

Und noch etwas zum Thema Sprache und Schule: Wie soll denn das funktionieren, wenn in Bozen und Meran in manchen deutschen Kindergartengruppen und deutschen Schulklassen deutlich mehr als die Hälfte der Kinder zu Hause gar kein Deutsch spricht? Altes Unrecht besteht noch immer und wird mittlerweile schon als selbstverständlich hingenommen: Denken wir nur an die Ortsnamen und an die Protestaktion der Schützen Mitte August. Heute müssen sich diejenigen rechtfertigen, die die historischen Ortsnamen wieder amtlich machen wollen; diejenigen, die die aufgezwungenen, falschen Ortsnamen aus der Zeit des Faschismus beseitigen wollen. Eigentlich sollte es umgekehrt sein! Diejenigen sollten sich rechtfertigen müssen, die die faschistischen Ortsnamen noch immer verteidigen. Mir ist schon klar, dass man geschehenes Unrecht nicht ungeschehen machen kann: Aber man kann sich entschuldigen und es wieder gutmachen! Es gibt weltweit und auch in Europa, ja selbst in Italien genügend Beispiele, wo historische Ortsnamen wieder amtlich eingeführt wurden und aufgezwungene Ortsnamen abgeschafft wurden. Warum nicht auch in Südtirol? Ist Ettore Tolomei, der Erfinder der falschen italienischen Ortsnamen, noch immer so stark? Oder liegt es an uns? Müssten wir hier einfach viel mehr Druck machen? Zentrale Bestimmungen des Südtiroler Autonomiestatutes sind noch immer nicht voll umgesetzt. Denken wir nur an die rechtliche Stellung der deutschen Sprache: Seit dem Autonomiestatut von 1972 sind Deutsch und Italienisch als Amtssprachen in Südtirol offiziell gleichgestellt. Seit 1976 gibt es die Zweisprachigkeitsprüfungen für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst. Man möchte meinen, dass nach weit über 40, ja bald 50 Jahren Zweisprachigkeitspflicht die gesamte öffentliche Verwaltung, auch die staatliche, im Stande sein müsste, allen Bürgern in ihrer Muttersprache zu begegnen. Und doch ist dem nicht so! Wohl jedem Südtiroler dürfte es schon einmal passiert sein, dass er auf irgendeinem öffentlichen Amt, bei der Polizei, den Carabinieri (Militärpolizei), den Finanzern (Finanzpolizei) oder im Krankenhaus italienisch reden musste, weil er mit deutsch einfach nicht weitergekommen ist. Und ich habe den Eindruck, dass es in den letzten Jahren sogar schlimmer geworden ist. Die zunehmende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung trägt einiges dazu bei. Online geht ja ohne italienisch bald gar nichts mehr.

Bei den staatlichen Organen hat das altbekannte „Parli italiano, siamo in Italia!“ („Sprechen Sie italienisch, wir sind in Italien!“) ja schon traurige Tradition. Aber, dass es in unseren eigenen, vom Land Südtirol geführten Krankenhäusern immer mehr, inzwischen sind es mehrere hundert (!), ich betone: mehrere hundert Ärzte und Pfleger gibt, die kein einziges Wort deutsch sprechen, das schlägt dem Fass den Boden aus! Das darf nicht sein! Hier geht es schließlich um das Leben und die Gesundheit von uns allen! Es ist höchste Zeit die alten Probleme zu lösen und auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Wir dürfen uns hier nicht allein auf die Politiker verlassen. Viele denken sich: „Die Politiker werden schon wissen, was sie tun.“ Nein! Dazu sind diese Themen zu wichtig! Es geht schließlich um unsere Zukunft und um die Zukunft unserer Kinder! Und genau deshalb braucht es die Schützen in Südtirol: Es braucht Frauen und Männer, die sich trauen, Probleme beim Namen zu nennen. Es braucht Leute, die bereit sind, sich für etwas einzusetzen und auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Es braucht aufrechte Tiroler, die weiterhin Widerstand leisten.
Es braucht die Schützen in Südtirol immer noch!

Mjr. Arno Rainer
Bezirskmajor Vinschgau

Arno Rainer, Schützen, Südtirol, Vinschgau
Schicksal 39 – Ein Koffer voller Geschichte(n) – Gedanken – Gefühle
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