Bozen − Zu einem für beide Seiten sehr interessanten Meinungsaustausch über Bildungspolitik und Fremdsprachenerwerb haben sich am 21. März 2019 Vertreter des Südtiroler Schützenbundes mit den beiden japanischen Universitätsprofessoren Kazumi Sakai (Germanistik, Univ. Yokohama) und Atsushi Ogawa (Soziolinguistik, Univ. Osaka) in Bozen getroffen.
Dabei legten Efrem Oberlechner (Medienreferent des SSB, Geometer und Lehrer an der Berufsschule), Margareth Lun (Kulturreferentin des SSB, Historikerin, Lektorin und Mittelschullehrerin für Literarische Fächer) sowie die bisherige Bundesmarketenderin Verena Geier (Mittelschullehrerin für Englisch bzw. für Literarische Fächer) die derzeitige Situation in Südtirol dar. Prof. Sakai und Prof. Ogawa arbeiten derzeit an einer Studie über Sprachgebrauch und Fremdsprachenerwerb in Minderheitengebieten und haben bereits im Aostatal, im Elsass und in Belgien eine Aufnahme der Ist-Situation gemacht, bevor sie in Südtirol Kontakt mit mehreren Schulen, mit dem Schulamt und mit dem Südtiroler Schützenbund aufgenommen haben.
Gefahr für deutsche Schule
Die Vertreter des SSB erklärten nicht nur die historischen Hintergründe und die derzeitige ethnische und kulturelle Situation in Südtirol, sondern konnten auch mit einleuchtenden Argumenten überzeugen, warum die Immersion, der CLIL-Unterricht bzw. die Sprachvermittlungsexperimente auf Kosten des muttersprachlichen Unterrichts – unter welchen Namen sie auch immer verkauft werden – eine Gefahr für die Qualität des Schulwesens darstellen.
Deutsch im Elsass verschwunden
Die beiden Sprachexperten aus Japan bestätigten, dass die sukzessive Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts auf andere Fächer innerhalb von zwei Generationen zum Verlust der Minderheitensprache führt – ein Argument, das Margareth Lun bereits im Konvent der 33 mehrmals anhand von verschiedenen Beispielen in Europa aufgezeigt hat. Im Elsass, wo noch vor wenigen Generationen die Bevölkerung mehrheitlich deutsch gesprochen hat und wo die Unterrichtsfächer mittlerweile zum Großteil auf Französisch unterrichtet werden, sprechen die Jugendlichen nunmehr auch privat fast ausschließlich Französisch, und im ursprünglich französischsprachigen Aosta, wo ab 1948 immer mehr Fächer auf Italienisch unterrichtet werden, geben mittlerweile nur mehr 2 % der Bevölkerung das Französische als ihre Muttersprache an.
Kein Erfolg durch CLIL
Efrem Oberlechner legte eine Reihe von wissenschaftlichen Studien vor, die belegen, dass der auch in unserem Land an vielen Schulen durchgeführte CLIL-Unterricht nicht den erwarteten Erfolg verbuchen lässt, sondern dass die Schüler zusätzlich auch noch mit Defiziten in den Unterrichtsstunden anderer Fächer rechnen müssten. „1.100 Italienischstunden bis zum Ende der Mittelschule bzw. 1.700 bis zur Matura müssen reichen, um sich sehr gute Fremdsprachenkenntnisse anzueignen“, so Efrem Oberlechner.
Unterrichtsmethoden anpassen
In dieselbe Kerbe schlug Margareth Lun: Wenn die Schüler nach einer dermaßen hohen Anzahl an Italienischstunden nicht fast fließend Italienisch sprechen, dann müssen dringend die Unterrichtsmethoden überdacht, überarbeitet und modernisiert werden – auf keinen Fall aber dürfen die im Art. 19 garantierten Unterrichtsstunden in der Muttersprache angetastet werden.“ Zudem müssten die Lehrpersonen die Schüler im Zeugnis prinzipiell positiv bewerten, zumal der Fachunterricht in einer Fremdsprache keinem Rekurs standhalten würde, gab Lun zu bedenken.
Guter Englischunterricht
Verena Geier zeigte auf, wie sehr sich die Sprachdidaktik in den Fächern Italienisch und Englisch unterscheidet. Gerade in den Oberschulen würde zum Großteil noch Italienisch unterrichtet wie vor dreißig Jahren. Viele Schüler würden dem Lehrplan entsprechend nach wie vor in den Italienischstunden alte klassische Literatur – etwa Dante (12. Jh.) − lesen, sie seien aber nicht imstande, sich mit Gleichaltrigen flüssig zu unterhalten. Der Englischunterricht sei hingegen durchwegs didaktisch moderner aufbereitet.
Früher Sprachunterricht bringt wenig
Die – übrigens fließend und fehlerfrei Deutsch sprechenden − japanischen Professoren waren bestens über den Art. 19 im Autonomiestatut informiert, der das Recht auf muttersprachlichen Unterricht garantiert. Ihr Standpunkt war – wie übrigens von mehreren wissenschaftlichen Studien belegt –, dass eine frühkindliche Fremdsprachenförderung keine besseren Fremdsprachenkenntnisse bringen würde. In Japan beginnt der Fremdsprachenunterricht (Englisch) prinzipiell erst in der 4. Grundschule.
Die Professoren schätzen die Bemühungen sehr hoch, Mehrsprachigkeit zu fördern und dadurch zwischen den Sprachgruppen Brücken zu schlagen. Zudem sprechen sie sich für das CLIL und das frühe Sprachenlernen, das in Südtirol realisiert wird, aus.