Kerschbaumer-Gedenkfeier: Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht

ST. PAULS – „Die Entwicklung, die Europa seit zwei Jahrzehnten genommen hat, zeigt leider überdeutlich, dass das mitunter litaneihaft beschworene Konstrukt „Europa der Regionen“ eine Schimäre ist. Daher sollten sich die Tiroler unterm Brenner eingedenk ihrer Geschichte und ihres Daseins in einem unsicheren, wesensfremden Staat dorthin begeben können, wohin sie wollen. Ich empfehle: wohin sie weit mehr als sechs Jahrhunderte gehörten“, so der Gedenkredner Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Olt bei der diesjährigen Sepp-Kerschbaumer-Gedenkfeier in St. Pauls.

Traditionell wurde am Freitag, den 8. Dezember 2017 in St. Pauls wiederum der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre gedacht. An die 2.000 Teilnehmer, davon etwa 1.500 Schützen und Marketenderinnen waren der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Schützenbundes und des Südtiroler Heimatbundes gefolgt, um bei dieser Gedenkfeier ihren Respekt, ihre Achtung sowie ihren Dank an jene Männer auszudrücken, die für die Freiheit der Heimat ihr Leben lassen mussten. Gedacht wurde neben Sepp Kerschbaumer auch seiner Mitstreiter Kurt Welser, Jörg Klotz, Toni Gostner, Franz Höfler und Luis Amplatz.

Das Vaterland Österreich war durch die Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat Carmen Schimanek und Werner Neubauer vertreten. Aus der hiesigen Politik waren die Abgeordneten zum Südtiroler Landtag Martha Stocker, Ulli Mair, Myriam Atz-Tammerle, Oswald Schiefer, Bernhard Zimmerhofer und Sven Knoll gekommen. Auch der Eppaner Bürgermeister Wilfried Trettl mit mehreren seiner Gemeinderäte wohnte der Feier bei.

Nach der Frontabschreitung in der Paulsnerstraße durch LKdt. Elmar Thaler (SSB), LKdt. Fritz Tiefenthaler (BTSK), LKdt. Enzo Cestari (WSB) und den Obmann des Südtiroler Heimatbundes Roland Lang erfolgte der Abmarsch und der Einzug in die Pfarrkirche von St. Pauls, welche oft auch „Dom auf dem Lande“ genannt wird. Dort zelebrierte Pater Reinald Romaner OFM die heilige Messe in Gedenken an all jene, die für die Freiheit der Heimat ihr Leben lassen mussten. Pater Romaner sagte, dass es − ohne Wenn und Aber − Zeit sei, Flagge zu zeigen. Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter waren in der 60er Jahren jedenfalls dazu bereit. „Wer heute Tracht trägt, muss bereit sein, Flagge zu zeigen. Wir Tiroler Schützen sind keine Touristenattraktion“, mahnte Pater Romaner.

Der zweite Teil der Gedenkfeier fand anschließend im Paulsner Friedhof statt. Dort begrüßte Roland Lang (SHB) alle Anwesenden und wies kurz auf die politische Lage in Katalonien hin, welche durchaus auch für Süd-Tirol eine interessante Entwicklung mit sich bringe.

Es folgte die viel beachtete Gedenkrede von Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Olt. Prof. Olt war langjähriger Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie politischer Korrespondent für Österreich, Ungarn, Slowenien und die Slowakei mit Sitz in Wien. Zudem unterhielt Prof. Olt Lehraufträge an Hochschulen in Gießen, Frankfurt, Innsbruck sowie Graz. Seit mehreren Jahren ist der mit zahlreichen hochrangigen Orden und Preisen (u.a. den „Niveau“-Preis des ungarischen Außenministeriums, den Großen Adler-Orden des Landes Tirol, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst und den Verdienstorden der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol) ausgezeichnete Süd-Tirol-Experte als Gastprofessor in Budapest sowie in Graz tätig.

Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Olt begann seine Ansprache mit einem Zitat von Papst Leo XIII: „Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht.“ Die Süd-Tiroler Freiheitskämpfer haben sich laut Prof. Olt zweifellos davon leiten lassen. „In ihrer Überzeugung, für die Heimat aufs Äußerste zu gehen und selbst den Tod in Kauf zu nehmen, konnten sie sich guten Gewissens auf diesen Satz und dessen Autor berufen“, so der Gedenkredner. „Wer wollte bestreiten, dass Italien damals Unrecht für Recht setzte. Und dass die Aktionen aller Freiheitskämpfer deshalb als sittlich, moralisch und juristisch gerechtfertigte Widerstandshandlungen gewertet werden müssen“, stellte Prof. Olt klar. Wert legte der Gedenkredner auf die Feststellung „aller Freiheitskämpfer“. Prof. Olt spielte damit auf die jahrelange Arbeit des österreichischen Militärhistorikers Hubert Speckner an, der nachgewiesen hat, dass das angebliche Attentat auf der Porzescharte im Juni 1967 so nicht stattfand. „Niemand in Bozen, Innsbruck oder Wien rührt einen Finger zur Rehabilitierung der zu Unrecht der Tat bezichtigten und zu hohen Haftstrafen verurteilten Erhard Hartung und Egon Kufner“, prangerte Prof. Olt an. Peter Kienesberger − der angeblich dritte Beteiligte − ist mittlerweile verstorben.

Dann spannte Olt einen Bogen in die heutige Zeit. „Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein Grundrecht. Es gilt ohne jegliche Vorbedingungen, und es ist als Völkerrechtsnorm Staatsverfassungen übergeordnet, nicht untergeordnet. Punktum!“, stellte der Gedenkredner klar. „Und im Gedenken an die Freiheitskämpfer des BAS appelliere ich an Sie: Löcken Sie wider den Stachel einer Politik derer, die nicht willens zu sein scheinen, über den Tag hinaus zu denken. Unterstützen Sie Initiativen und wirken Sie mit in Organisationen, die den Schneid besitzen, aus Kenntnis einer unverfälschten oder einseitig interpretierten Geschichte heraus über diesen Teil Tirols nachzudenken und Anstöße für seine selbstbestimmte Zukunft zu vermitteln“, so Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Olt.

Es folgten die Schlussworte des Landeskommandanten des SSB Mjr. Elmar Thaler. Dieser dankte allen anwesenden Schützen aus sämtlichen Teilen Tirols für die starke Teilnahme. Thaler zeigte sich überzeugt, dass auch die verstobenen Freiheitskämpfer eine Freude haben, dass so viele zur Gedenkfeier gekommen sind und dadurch der Öffentlichkeit zeigen, dass sie den begonnen Weg der Freiheitskämpfer zu Ende gehen wollen.

Musikalisch umrahmt wurde die gesamte Feier von der Musikkapelle St. Pauls. Die Ehrensalve feuerte die Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan ab. Zur Kranzniederlegung erklang die Weise des „Guten Kameraden”. Abgeschlossen wurde die würdige Gedenkfeier traditionsgemäß mit der Tiroler Landes- und der Österreichischen Bundeshymne.

Gedenkansprache von Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Olt 

„Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand  Pflicht!“

Dies, hohe Gedenkversammlung, ist ein Satz von enormer Wucht.

Er enthält konditioniert die strikte Aufforderung  zur Tat.

Jene Männer, derer wir  gedenken, haben sich zweifellos davon leiten lassen.

In ihrer Überzeugung, für die Heimat aufs Äußerste zu gehen und selbst den Tod in Kauf zu nehmen, konnten sie sich guten Gewissens auf diesen Satz und dessen Autor berufen.

 „Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand Pflicht“ stammt  von Papst Leo XIII. Und findet sich in dessen Enzyklika „Sapientiae Christianae“ („Christliche Weisheiten“) vom 10. Januar 1890.

Sepp Kerschbaumer, Luis Amplatz, Jörg Klotz, Anton Gostner, Franz Höfler, Kurt Welser, deren Namen hier auf der Gedenktafel dieses Gottesackers verzeichnet sind, und die vielen anderen geschundenen Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol, mitsamt ihren Angehörigen, derer wir  unsere Reverenz erweisen für ihr heldenmütiges Wirken,  wussten sich  damit moralisch auf der sicheren Seite.

Wer wollte bestreiten, dass Italien damals Unrecht für Recht setzte. Und dass die Aktionen aller Freiheitskämpfer  deshalb als sittlich, moralisch und juristisch gerechtfertigte Widerstandshandlungen gewertet werden müssen.

Franz Klüber, Jurist und Theologe, hat dies in seiner 1963 erschienenen und nach wie vor empfehlenswerten Schrift „Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“  ausdrücklich festgehalten.

Dass ich Wert lege auf die Feststellung „aller Freiheitskämpfer“ hat Gründe.

Wir  wissen,  dass Anlage und Wirkung ihrer Taten in Zweifel, ja bisweilen sogar in den Schmutz gezogen wurden und werden.

Zudem hat man die BAS-Aktivisten segregiert,  wissenschaftlich, publizistisch und  politisch zweckdienlich unterteilt:

In jene einer ersten Phase von Widerstandshandlungen, die man aus Sicht absoluter Gewaltlosigkeit  als moralisch verwerflich deklarierte,  nolens volens später aber als politisch hilfreich anerkannte, weil sie den Weg zum Autonomiepaket mitbereitet hätten.

Und in Aktionen einer zweiten Phase, die ohne Rücksicht auf Verluste ausgeführt worden seien, also Gewalt auch  gegen Menschen verübt hätten.

Und dass dabei ausnahmslos  Rechtsextremisten, ja Nazi-Adepten am Werk gewesen seien.

Diese Phase wird von interessierter Seite durchweg für verwerflich und unentschuldbar erklärt,  Beteiligte werden zu niederträchtigen Parias stigmatisiert.

Geschätzte Anwesende – dem ist beherzt  entgegenzutreten. Warum?

1.) In jahrelanger Arbeit hat der  österreichische Militärhistoriker Hubert Speckner nachgewiesen, dass das angebliche Attentat auf der Porzescharte  im Juni 1967 nicht stattfand.

Zumindest  nicht so stattfand, wie es italienischerseits dargestellt und in Politik, Wissenschaft und Publizistik  bis zur Stunde als Faktum angesehen wird. Auch hier in Südtirol.

Niemand in Bozen, Innsbruck oder Wien rührt einen Finger zur Rehabilitierung der zu Unrecht der Tat bezichtigten und zu hohen Haftstrafen verurteilten Erhard Hartung und Egon Kufner. Peter Kienesberger, der dritte, ist  mittlerweile verstorben.

Der Prozess in Florenz wurde von Höchstgerichten in Österreich und Deutschland für verfahrensrechtswidrig und menschenrechtswidrig erklärt. Das ergangene Fehlurteil ist nach wie vor in Kraft.

2.) hat Speckner  anhand von 48 „aktenkundigen“  Vorfällen akribisch nachgewiesen, dass die aus den staatspolizeilichen und gerichtlichen Dokumenten Österreichs hervorgehenden Sachverhalte massiv von den  offiziellen italienischen Darstellungen abweichen.

BAS-Aktionen fanden ungefähr zeitgleich eine gewisse Parallelität durch  italienische Neofaschisten und konspirativ arbeitende Dienste.

Aus beiden Studien lassen sich  geschichtsrevisionistische Schlüsse ziehen.

Hatte Italien nach dem Zweiten Weltkrieg  Südtiroler zu Nazis abzustempeln versucht, so stellt es seit Ende der 1950er Jahre alle BAS-Aktivisten  unter Generalverdacht des Neonazismus.

Festzuhalten und offensiv zu vertreten ist daher: Der BAS-Grundsatz, wonach „bei Anschlägen keine Menschen zu Schaden kommen dürfen“, wurde trotz Eskalation der Gewalt zwischen „Feuernacht“ 1961 und der mehrheitlichen Annahme des „Pakets“ durch die Südtiroler Volkspartei 1969 weitestgehend eingehalten.

Der Tod nahezu aller während dieser Jahre gewaltsam ums Leben gekommenen Personen ist nicht dem BAS als solchem anzulasten, wie dies bis heute wahrheitswidrig behauptet wird.

Stattdessen handelt es sich bei den meisten der von Speckner durchleuchteten Vorfälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Unfälle bzw. um  italienische Geheimdienstaktionen.

Auch für einige  in Österreich geplante und/oder ausgeführte Anschläge ist dem BAS willentlich, aber fälschlicherweise die Täterschaft zugeschrieben worden.

Auch hierfür zeigen Speckners Analysen, dass sie zum größten Teil auf das Konto italienischer Neofaschisten, Geheimdienstler und sog. „Gladisten“ gehen; anderenteils waren einige Rechtsextremisten Urheber, die nicht dem BAS angehörten oder mit ihm in Verbindung standen.

Ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem BAS wurde wahrheitswidrig  in Italien behauptet und in Österreich folgsam übernommen, um den Südtiroler Freiheitskampf zu diskreditieren.

Betrachter aus Politik, Kultur, Publizistik  und leider auch aus der Wissenschaft – auch  aus diesem Teil Tirols – folgen dieser Betrachtung.

Wider besseres Wissen. Neue Forschungsergebnisse werden nicht nur ignoriert, sondern geradezu verschwiegen und mitunter sogar bekämpft.

Womit all  denen bis zur Stunde Unrecht geschieht, die aus Verzweiflung über die kolonialistische Unterwerfungsgeste auch des sog. „demokratischen“ Nachkriegsitaliens handelten.

Was nicht nur mich konsterniert.

Hohe Gedenkversammlung. Worin besteht das zeitgemäße Erbe des Freiheitskampfes?

Es besteht im Widerstand gegen verhängnisvolle Entwicklungen, an der bisweilen auch die hiesige Politik mitwirkt.

Entwicklungen, die – ohne Korrektur – auf nationalkulturelle Deformation bzw. Eliminierung hinauslaufen und im weiteren Fortgang unweigerlich zur Assimilation und letztlich zur „ewigen Italianità“  dieses Teils Tirols führen.

Widerstand heute heißt natürlich nicht mit der Waffe in der Hand oder mit Sprengstoff im Rucksack und an Masten gegen derartige Fehlentwicklungen Sturm zu laufen.

Widerstand heute heißt vielmehr: Widerspruch einlegen.  

Heißt: Das Wort erheben gegen missliebige politische Entscheidungen.

Heißt: Gesellschaftliche Erscheinungen anzuprangern, die für Bestand und Erhalt der angestammten Bevölkerung Tirols  abträglich sind.

Heißt auch und vor allem: Immer wieder auf den wahren Kern des Freiheitskampfes hinweisen:

1.) auf die Gewährung der zweimal verweigerten Selbstbestimmung.

2.) Trotz des im Vergleich mit der Lage anderer nationaler Minderheiten Europas anzuerkennenden beispielhaften Charakters der Südtirol-Autonomie, immer wieder den Finger in die Wunde der unerfüllt gebliebenen Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu legen.

Diese Wunde mögen manche Südtiroler vielleicht für schon verheilt erachten.

Doch besänftigt vom politisch-medial bestärkten Gefühl „Es geht uns ja doch gut und sogar besser als anderen“ vergessen sie, dass die fast als Maß aller Dinge verabsolutierte Autonomie lediglich ein Provisorium ist.

Es ist wider die Vernunft, Geschichte als etwas Statisches anzusehen oder, wie nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems geschehen, gar das  „Ende der Geschichte“ auszurufen.

Daher gilt, hoffentlich nicht nur für mich: Wer die Selbstbestimmung nicht mehr als realisierungsfähiges Ziel anstrebt, verwirkt den Anspruch, für das Volk (des ganzen Tirol) und die Bevölkerung seines fremdbestimmten südlichen Teils  zu sprechen, zu wirken und die Menschen zu vertreten.

Primat der Politik in Tirol, in Südtirol und nicht zuletzt in Österreich hat die Verwirklichung der Selbstbestimmung zu sein.

Die Ansicht, wie sie 2015 vom österreichischen Außenministerium und seiner Diplomatie geprägt und von den regierenden Mehrheitsparteien einschließlich Grünen und Neos im Nationalrat vertreten worden ist, nämlich dass die Südtirol-Autonomie „…. ein konkreter Ausdruck des Gedankens der Selbstbestimmung“, damit sozusagen „Wahrnehmung einer Form der inneren Selbstbestimmung“ sei, ist interpretatorische Rabulistik  und allenfalls für diejenigen schlüssig, die am Status quo nicht gerüttelt haben möchten.

Unter Hinweis auf die italienische Verfassung – die wie alle Verfassungen zentralistisch organisierter  Staaten   den Passus von der „einheitlichen, unteilbaren Nation“ enthält – ist nicht allein, aber doch vor allem von Südtiroler politischer Seite  im Zusammenhang mit der  Katalonien-Problematik eingewendet worden, ein Volk könne das Selbstbestimmungsrecht nur dann beanspruchen, wenn sein Dasein von  einer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder sonstwie gearteten Unterdrückungssituation bestimmt werde.

Mit Verlaub: Dies  ist abwegig.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein Grundrecht. Es gilt ohne jegliche Vorbedingungen, und es ist  als Völkerrechtsnorm Staatsverfassungen übergeordnet, nicht untergeordnet. Punktum!

Es ist der gegen  Unabhängigkeitsbewegungen vorgebrachten  These zu widersprechen, wonach Grenzen unverrückbar bzw. Grenzveränderungen obsolet seien.

Die These wird von  sogenannten Legalisten oder Rechtspositivisten und naturgemäß von jenen politischen Kräften vertreten, die jeden gegen den Status quo gerichteten Vorstoß ablehnen.

Legalisten verstecken sich – wie im Falle Spaniens, Frankreichs,  Rumäniens und Italiens – hinter Verfassungen, die keine Abspaltung einzelner Landesteile vorsehen.

Dies geht  an der historisch-politischen Wirklichkeit vorbei.

Hätten die Legalisten seinerzeit immer recht behalten, wäre die Schweiz heute noch deutsch, Polen nicht existent, wären die Niederlande spanisch, und die Vereinigten Staaten befänden sich noch im Kolonialbesitz des British Empire.

Die Geschichte selbst führt den Rechtspositivismus somit ad absurdum.

Sie zeigt, dass das das Verschieben von Grenzen gerade Ausdruck der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist.

In den vergangenen hundert Jahren ist die Zahl der durch Sezession, Abspaltung und Unabhängigkeitserklärungen entstandenen Staaten rapide gewachsen.

1914 gab es 57 Staaten auf der Welt, Mitte des 20. Jahrhunderts waren es  100.

Heute – nach Entkolonialisierung und dem Zerfall der Sowjetunion sowie  der Sezession Jugoslawiens – sind 193 Staaten Mitglied der Vereinten Nationen.

Nicht selten ging die Unabhängigkeit  mit blutigen Kämpfen einher. Ein positives Beispiel für eine friedliche, einvernehmliche Trennung gaben Tschechen und Slowaken zum Jahreswechsel 1992/1993.

Grundsätzlich sollte die Sezession möglich sein, wenn ein unverschuldet in fremdnationale Umgebung  gezwungenes Volk oder ein Volksteil nach reiflicher Überlegung die Unabhängigkeit und Loslösung beansprucht.

Dies bei Anwendung der dafür vorgesehenen juristisch-politischen Instrumentarien.

Und der Unabhängigkeitswille muss in einer freien, fairen Abstimmung mit ausreichender Beteiligung und qualifizierter Mehrheit festgestellt werden.

Ich stimme daher mit dem Völkerrechtler  Felix Ermacora überein: „Kein Staat der Erde kann auf  Dauer einem Volk die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht, aber wollen und fordern muss man sie!

Hohe Gedenkversammlung. Ich komme zum Schluss:

Die Entwicklung, die EU-Europa seit zwei Jahrzehnten genommen hat, zeigt leider überdeutlich, dass das mitunter litaneihaft beschworene Konstrukt „Europa der Regionen“  eine Schimäre ist.

Nüchtern betrachtet ist die politische Union auf unabsehbare Zeit nicht zu verwirklichen, weshalb das Gewicht der Nationen und Nationalstaaten bleibt.

Daher sollten sich die Tiroler unterm Brenner eingedenk  ihrer  Geschichte und Ihres  Daseins in einem unsicheren, wesensfremden Staat  dorthin begeben können, wohin sie wollen.

Ich empfehle: wohin sie weit mehr als sechs Jahrhunderte gehörten.

Und im Gedenken an die  Freiheitskämpfer des BAS appelliere ich  an Sie: Löcken Sie wider den Stachel einer Politik derer, die nicht  willens zu sein scheinen, über den Tag hinaus zu denken.

Unterstützen Sie Initiativen und wirken Sie mit in Organisationen, die den Schneid besitzen, aus Kenntnis einer unverfälschten oder einseitig interpretierten Geschichte heraus über diesen Teil Tirols nachzudenken und Anstöße für seine selbstbestimmte Zukunft zu vermitteln.

Ich schließe meine Gedanken zum Gedenken mit einem sinnfälligen Aphorismus von Goethe:

„Wer das Recht hat und Geduld, für den kommt auch die Zeit.“

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45.000 Katalanen auf den Straßen von Brüssel
Selbstbestimmung im Herzen Europas

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