Schützenbünde gedenken Schöpfer der Tiroler Landeshymne

Landeskommandant Elmar Thaler würdigte in seiner Festrede den Vogtländer Julius Mosen und die sächsisch-tirolerische Wesensverwandtschaft.

BOZEN/PLAUEN – Mit einem Festakt in Plauen hat eine Abordnung der Tiroler Schützen Julius Mosens gedacht, der mit seiner Dichtung „Zu Mantua in Banden“ den Grundstein für die Tiroler Landeshymne gelegt hat. Julius Mosens Todestag hat sich am 10. Oktober zum 150. Mal gejährt.

Plauens Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer hatte am vergangenen Sonntag zum Festakt in den Festsaal des Vogtlandmuseums in der sächsischen Stadt Plauen geladen; gekommen waren der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes Elmar Thaler und der Landeskommandant-Stellvertreter der Bundes der Tiroler Schützenkompanien Christian Meischl jeweils mit eine Abordnung samt Bundesfahne. Es galt an den bekannten Dichter und Schriftsteller Julius Mosen zu erinnern, der von 1803 bis 1867 gelebt hatte und neben bedeutenden Dichtungen unter anderem auch den Text für die Tiroler Landeshymne geschaffen hatte. An der Veranstaltung hat auch der Landtagsabgeordnete Bernhard Zimmerhofer vom Südtiroler Landtag teilgenommen.

Bürgermeister Oberdorfer erinnerte in seiner Begrüßung an den Umstand, dass die Vogtländer allgemeinhin als zänkisches Bergvolk bekannt waren, so dass, wie es Julius Mosen ausdrückte, die Vogtländer für ihn die „sächsischen Tyroler seien, nur genügsamer, nur regsamer, nur hartnäckiger in Verfolgung ihres Zieles, doch ebenso bieder, wenn auch derber.

In einem viel beachteten Vortrag behandelte Prof. Dr. Rüdiger Bernhardt Mosens Modernität und Aktualität. „Synapsen zur Gegenwart zeichnen längst verstorbene Künstler aus“, meinten Prof. Bernhardt sinngemäß. Genau diese Verbindungen stellte der Landeskommandant der Tiroler Schützen in seiner Festansprache her.

„Heimatliebe – das erkennen wir in Mosens Gedichten − verknüpfte er sehr gerne mit einem tief empfundenen und von Tatkraft überschäumenden Freiheitswillen“, so Thaler, der die Verbindung Tirols mit Sachsen zuvor nachgezeichnet hatte und aktuelle Entwicklungen in Tirol und Europa ansprechen konnte. Europa darf kein Gefängnis sein, sondern sollte zulassen, dass sich im Sinne Mosens jedes Volk seine Partner selbst aussuchen kann.

Nach einer Exkurs in der Geschichte der Tiroler Freiheitskämpfe von 1809 durch den wissenschaftlichen Mitarbeiter Gerd Naumann mit besonderem Bezug auf die sächsischen Soldaten, die dabei mitgewirkt hatten, erfolgte die Kranzniederlegung am Mosen-Denkmal in der Innenstadt von Plauen, wo Landeskommandant-Stv. Christian Meischl in seiner Gedenkrede die besondere Beziehung Mosens zu Tirol aufzeigte und würdigte.

Bürgermeister Ralf Oberdorfer hatte zu einer Gedenkfeier anlässlich des 150. Todestages von Julius Mosen geladen. Die Tiroler Schützen dies und jenseits des Brenners waren daher in das sächsiche Plauen gereist und würdigten den Schöpfer der Tiroler Landeshymne mit ihrer Anwesenheit.

Festansprache von LKdt. Elmar Thaler zum 150. Todestag von Julius Mosen in Plauen, am 15. Oktober 2017

Festlich Versammelte, sehr geehrter Herr Bürgermeister, geschätzter Herr Landtagsabgeordneter!

Es ist uns Tirolern eine besondere Ehre und Freude, gemeinsam mit Ihnen allen des Dichters unserer Landeshymne zu gedenken. Es ist dies ein besonderes Zeichen der Freundschaft, die diese beiden Länder, Sachsen und Tirol verbindet. Und Julius Mosen ist wahrlich nicht der einzige Anknüpfungspunkt zwischen Sachsen und Tirol.

So war etwa im 15. Jh. Katharina von Sachsen die zweite Gattin von unserem Erzherzog Sigmund dem Münzreichen. Friedrich August II. von Sachsen verunglückte hingegen 1854 tödlich mit seinem Pferdewagen in Karrösten im Tiroler Oberland. Noch heute erinnert eine Kapelle an diesem Ort an den einstigen König von Sachsen.

Ganze 14 Schutzhütten in den Tiroler Bergen gehörten einer der 28 sächsischen Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. In diesem stellten die Sachsen 1873 ja gut 10 % aller Mitglieder – und damit hatten Ihre Vorfahren einen bedeutenden Anteil an der touristischen Erschließung der Alpen, an der wir uns bis heute gemeinsam erfreuen.

Daran sieht man, dass es immer schon einen Austausch zwischen diesen beiden, in etwa gleich großen Länder gegeben hat – und dass auch die, besonders für die damaligen Zeiten − nicht unerhebliche räumliche Distanz kein Hindernis war.

Sachsen und Tiroler müssen also schon wesensverwandt sein. Nur so lässt sich auch Mosens Faszination für unser Land erklären. Und wenn wir uns die Werke Mosens anschauen, dann können wir auch erahnen, dass die Sachsen gleich wie die Tiroler einen besonderen Drang zur Heimatliebe hatten oder hoffentlich immer noch haben.

Heimatliebe ist nämlich ein Wert, der auch in der heutigen Welt durchaus seine Existenzberechtigung hat, − vielleicht sogar mehr denn je. In einer Welt, in der die „Unkultur des Gegeneinander“ das tägliche politische Geschehen beherrscht, in der Globalisierung nicht nur in der Wirtschaft stattfindet, sondern auch in der Kultur. – Ja, in einer Welt, die immer „gleicher“ zu werden scheint, ist die Heimatliebe ein notwendiger Ausgleich, sie ist der Ruhepol in einer Welt, die niemals stillsteht.

Heimatliebe – auch das erkennen wir in Mosens Gedichten − verknüpfte er sehr gerne mit einem tief empfundenen und von Tatkraft überschäumenden Freiheitswillen. So ist uns ein Zitat von ihm überliefert, das da lautet: „Der Schwache mag zum Kreuze treten, der Starke soll durch Taten beten.“ Damit will er uns sicher nicht vom Glauben abhalten, sondern vielmehr anspornen, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, und uns einzusetzen für die Freiheit, um das zu beseitigen, was der Freiheit im Wege steht.

Sehr verehrte Damen und Herren, jenes Land, das Mosen in seiner wohl berühmtesten Dichtung besingt, hatte wenig mehr als 50 Jahre nach Mosens Tod als Ganzes aufgehört zu existieren. Tirol ist nach dem Ersten Weltkrieg geteilt worden, eine Grenze am Brenner hat damals das Land im Gebirge getrennt. Und was eine Grenze − wie durchlässig oder undurchlässig sie auch immer ist − bedeutet, brauche ich gerade hier wohl nicht weiter zu erklären.

Eine willkürlich gezogene Grenze steht der Freiheit immer im Wege. Da ändert der Umstand, dass diese Grenze auch nur eine innereuropäische Grenze ist, wenig. Wie sich das für viele Tiroler heute noch anfühlt, ist am leichtesten zu erklären, wenn wir uns vorstellen, dass ein Teil Sachsens zu Polen oder Tschechien gehören würde und der andere Teil zu Deutschland. Freilich, auch da wäre man zwar eingebettet in dem einen großen Europa. Eins ist man deshalb aber noch lange nicht.

Deshalb schauen wir Tiroler auch mit Bewunderung auf andere freiheitsliebende Völker in Europa. Weil wir überzeugt sind, dass nur ein Europa der Regionen Zukunft hat. So wie bereits die deutschen Dichter Goethe und Schiller die kulturelle Blüte und Diversität eines Europas der Regionen hervorgehoben haben, so sollten auch wir es tun. Nicht Schlagstöcke gegen die eigenen Bürger schaffen Frieden und Freiheit, nicht die Verhinderung von friedlichen Abstimmungen erhöht den Glauben an das eine freie Europa. Darum ist das Geschehen in Katalonien von größter Bedeutung. Denn vom oft zitierten und angepriesenen Europa der Regionen wollen der spanische Regierungschef Mariano Rajoy und seine Schwadroneure nichts wissen.

Es geht ihnen „um die Einheit der spanischen Nation“ − und nicht um das Projekt Europa. Man nimmt, um den Volkswillen zu unterdrücken, Bezug auf die spanische Verfassung, die von der „unauflöslichen Einheit der spanischen Nation“ spricht − aber nicht, wie es in der „Ode an die Freude“ heißt, darauf, dass „Alle Menschen […] Brüder [werden], wo dein sanfter Flügel weilt“.

Verehrte Versammelte!

Ich bin fest davon überzeugt, dass Europa nur überdauern kann, wenn es ein Europa der Länder, der Regionen wird, in dem Nationalstaaten absolut in den Hintergrund treten. In dem man gleich stolz sein kann auf die eigene engere Heimat wie auf das große Ganze. In der nicht das Konkurrieren der Nationalstaaten im Vordergrund steht, sondern die Vielfalt. In der das, was wir − europaweit gesehen − gemeinsam regeln können, auch europaweit geregelt wird.

Europa kann nur überdauern, wenn kein Volk in einem Nationalstaat eingeengt oder gar eingesperrt wird, mit der Androhung, bei Zuwiderhandlung aus dem europäischen Verbund ausgeschlossen zu werden, und wenn jedes Volk nach den eigenen Eigenschaften und nach dem Willen seiner Bewohner seine Verwaltungsgrenzen selbst bestimmen kann.

Und selbst wenn man dabei der Prügelknabe ist, selbst wenn − und ich habe mir das in den letzten Tagen von einem der größten Meinungsbildner Deutschlands sagen lassen −, selbst wenn die Sachsen gleich wie die Tiroler zur Zeit immer die Prügelknaben sind: Wir haben uns einzusetzen für die Freiheit der Völker!

Oder um es mit den Worten unseres österreichischen Bundespräsidenten zu sagen: „Eine Politikerin, ein Politiker muss die Welt durch die Augen der nächsten Generationen sehen können. Durch die Augen der Kinder. Durch die Augen der Enkel.“

„Es ist egal, wer du bist, wichtig ist, was du für deine Heimat machst.“

Julius Mosen hat uns diese schöne Dichtung hinterlassen, die zu unserer Landeshymne geworden ist. Wenn auch wir imstande sind, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, was unserer Heimat hilft, was noch in 150 Jahren als etwas Wertvolles, etwas Gehaltvolles und Anstrebenswertes angesehen wird, dann machen wir unserem Julius Mosen alle Ehre, dann haben auch wir einiges richtig gemacht, und dann sind wir auch dem tieferen Sinn dieser Feierstunde gerecht geworden.

Vortrag von Gerd Naumann

Der unbekannte Krieg. Tirol „Anno Neun“, die Reußen und der Vogtländer Julius Mosen

Referat auf der Veranstaltung zum Gedenken an Julius Mosen aus Anlass seines 150. Todestages Festsaal im Vogtlandmuseum Plauen, 15. Oktober 2017

Einleitung

Im folgenden Vortrag möchte ich auf einen Krieg eingehen, der vor über 200 Jahren in den Bergen Tirols geführt wurde. Davon Kenntnis haben heutzutage hierzulande nur wenige. Dabei hatte der zugrunde liegende Konflikt unmittelbar auch mit dem Vogtland zu tun und er inspirierte Julius Mosen zu seiner berühmten Dichtung „Zu Mantua in Banden“.

Bekannt ist, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Hurricane auszulösen in der Lage sein soll. Bei den folgenden Betrachtungen möchte ich das Prinzip umkehren und aufzeigen, wie sich ein Hurricane auf den Flügelschlag eines Schmetterlings auswirken kann.

Jedes Jahr um den 20. Februar herum gedenkt Tirol in Meran, in Innsbruck und in Mantua Andreas Hofer und erinnert damit an den opferreichen Freiheitskampf der Tiroler 1809 gegen übermächtige Gegner – Franzosen und Bayern. Bis in die Gegenwart hinein prägt dieses Geschehen die Erinnerungs- und Gedenkkultur in der gesamten Region an Inn, Etsch, Passer, Eisack und Rienz.

1809 stellten sich die selbstbewussten Tiroler in einem Volksaufstand den rigorosen Gestaltungsplänen des französischen Kaisers Napoleons I. in den Weg. An der Etsch und im Gebirge erlebte der Korse kein unangenehmes Dé­jà-vu, sondern sein zweites Spanien.

Die Unruhen und Volksaufstände in Spanien (seit 1808) und Tirol (1809) deuteten auf erste Risse im europäischen Herrschaftssystem Napoleons. Sie zeigten deutlich, dass hinter den regulären Truppen der europäischen Mächte Potenziale einer Befreiungsbewegung schlummerten, die sich aus alltäglichen Nöten, einer Fülle von Zumutungen und aus der strikten Ablehnung einer Zwangsmodernisierung speisten, die mit aufklärerischem Habitus daherkam.

Das Aufbegehren der Tiroler „Anno Neun‘ war im Wesentlichen von drei Zielen bestimmt. Sie trachteten nach

  1. Befreiung von Fremdherrschaft und Fremdbestimmung,
  2. Zurückdrängung eines „Fortschritts“ in den Farben Frankreichs und Bayerns, der gewaltsam – auf den Spitzen der Bajonette – ins Land getragenen wurde und danach trachtete, die Strukturen der überkommenen Standesgesellschaft rücksichtslos aufzubrechen,
  3. Wiederherstellung der Einheit der gefürsteten Grafschaft Tirol mit dem Mutterland Österreich.

Über welche besonderen Eigenschaften musste indes ein Volk verfügen, das sich solche Ziele setzten? Welche Quellen speisten die hohe, überlegene Kampfmoral der Tiroler, ihre Bereitschaft das eigene Leben, für Gott, Kaiser und Vaterland, vor allem aber für ihr Land Tirol zu opfern?

Joseph Hirn gibt in seinem Werk „Tirols Erhebung im Jahre 1809“ überzeugende Antworten: Er nennt die Tiroler ein „Volk dass die patriarchalische Sozialordnung bewahrt und rationalistisch-revolutionären Bewegungen nicht nur unzugänglich ist, sie vielmehr als Feind seiner alten Welt ablehnt und bekämpft.“ Unzugänglichkeit und Ablehnung begründet er mit der Feststellung die Tiroler wären ein „Volk, auf das der soziale und politische Freiheitsgedanke nicht wirken kann, weil es von dieser Freiheit schon längst besaß, als die Französische Revolution sie erst verkündete.“

Der unbekannter Krieg: „Anno Neun“ und die Reußen in Tirol

Das Geschehen ‚Anno Neun’ in Tirol hat unmittelbar auch etwas mit dem Vogtland und dessen Geschichte zu tun. Wie das? Immerhin trennen uns doch von den Orten damaligen Geschehens nördlich und südlich des Brenners hunderte von Kilometern oder heute wenigstens 4-6 Autostunden. Die Antwort auf diese Frage lautet zunächst ganz allgemein: Tirol und das Vogtland verband ein Konflikt von europäischer Dimension, der nahezu jeden Winkel des Kontinents erfasste.

Dieser Konflikt verband Tirol und das Vogtland aber auch ganz unmittelbar, weil die Vorfahren unserer Nachbarn aus dem thüringischen Vogtland – damals Untertanen der kleinen Reußischen Fürstentümer – unter französisch-bayerischem Kommando 1809 in Marsch gesetzt wurden, um die aufständischen Tiroler niederzuwerfen.

Der Einsatz reußischer Soldaten im August 1809 in Tirol hat eine Vorgeschichte, die bis in das Jahr 1805 zurück reicht. Ich will sie im Telegrammstil erzählen:

Am 2. Dezember 1805 unterliegen im 3. Koalitionskrieg die verbündeten Österreicher und Russen in der Dreikaiserschlacht im mährischen Austerlitz den Truppen Napoleons. Im Frieden von Pressburg muss Kaiser Franz I. von Österreich, Tirol an Bayern abtreten, das sich mit Frankreich verbündet hatte.

Der bayerische König Maximilian I Joseph bricht sein Versprechen, kein Jota an der Tiroler Verfassung zu verändern. Seine mit aufklärerischem Eifer und Dünkel umgesetzten Reformen greifen tief und rigoros in das archaische, über Jahrhunderte gewachsene und bewährte Gefüge der Standesgesellschaft ein.

Aus Tirol wird Südbaiern“, der Handel mit dem Mutterland Österreich wird unterbunden. Neue Zölle und höhere Steuern erregen den Unmut des Volkes. Alt hergebrachte religiöse Bräuche werden verboten, örtliche Geistliche durch Staatspfarrer ersetzt. Die weit verbreitete, tief im Volk wurzelnde Frömmigkeit gilt plötzlich als reaktionär und fortschrittsfeindlich. Die zwangsweise Aushebung von Rekruten für das bayerische Militär in Axams bei Innsbruck ist ein Tabubruch, der das Fass schließlich zum Überlaufen bringen.[1]

Angesichts der als immer unerträglicher empfundenen Lage verfassen Tiroler Schützenkommandanten eine Bittschrift an den bayerischen König, in der die Rückkehr zu den alten Verhältnissen gefordert wird – allerdings vergeblich.

Auf einer Geheimkonferenz im Januar 1809 in Wien ermutigt Erzherzog Johann, Bruder des Kaisers und im Herzen Tiroler, die Hauptfigur des Tiroler Widerstandes Andreas Hofer, und seine engsten Gefährten, zum Aufstand gegen Napoleon und verspricht finanzielle wie militärische Unterstützung.

Im Verborgenen rüstet sich nun Tirol zum Krieg. Auf den Bergen werden weithin sichtbare Feuer entzündet, die den Besatzern nichts Gutes verheißen. Boten bringen Laufzettel von Hof zu Hof, um Adelige, wie einfache Leute, Handwerker und vor allem Bergbauern für das Tiroler Aufgebot zu alarmieren. Standschützen, Scharfschützen und Landsturm sammeln sich.

Am 9. April 1809 eröffnet Österreich den Präventivkrieg gegen Frankreich. Kaiser Franz erklärt im Überschwang der Gefühle über erste Erfolge die Wiedervereinigung Tirols und von Vorarlberg mit Österreich zur Conditio sine qua non – zur notwendigen, absoluten, unerlässlichen Bedingung eines zukünftigen Friedens mit Frankreich. Die Aufständischen vertrauen blind dem Wort ihres Kaisers.

Im Laufe des 9. und 10. April 1809 überschreitet die österreichische Armee den Inn und rückt in Bayern ein. Auf dieses vereinbarte Signal hin eröffnen bewaffnete Tiroler im Hinterland der Gegner Österreichs eine zweite Front und bedrohen wichtige Heerstraßen und Nachschub-Verbindungen der französisch-bayerischen Allianz. In den folgenden Kämpfen sind die Tiroler meist in der Minderzahl. Ihre unkonventionelle Kampfweise bringt ihnen aber einige spektakuläre Siege.

Das erste entscheidende Gefecht entwickelte sich am 12. April 1809 gegen bayerische Truppen, die am Bergisel, Riegel und Nadelöhr an der Pass-Straße zum Brenner südlich von Innsbruck, von den Tirolern geschlagen werden.

Die Antwort von Franzosen und Bayern, die nicht lange auf sich warten lässt, ist ungezügelter Terror: Im Mai rücken die Truppen des französischen Marschalls Lefèbre von Kufstein aus – brandschatzend und mordend – durch das Inntal nach Innsbruck vor. Schwaz geht in Flammen auf. Zahlreiche Einwohner, unter ihnen vielee Frauen und Kinder, werden von Soldateska brutal massakriert. Lefèbres Truppen setzen damit einen Befehl Kaiser Napoleons um, der mit der Aufforderung endet: „Seien Sie schrecklich!“

Napoleon, alarmiert durch die Nachrichten aus Deutschland, eilt Mitte April in das Hauptkampfgebiet, besiegt in rascher Folge die Österreicher in mehreren Schlachten und Gefechten[2], besetzt am 13. Mai 1809 Wien. Am 21./22. Mai 1809 muss er bei Aspern, östlich von Wien, gegen Erzherzog Karl die erste Niederlage in seiner Laufbahn hinnehmen, was jedoch für den Ausgang des Feldzuges gegen Österreich nicht von Belang sein wird.

Kaiser Franz indes lässt nach dem Sieg über Napoleons Hauptarmee bei Aspern große Hoffnung auf eine günstige Wendung der Kriegslage aufkommen, der allerdings gänzlich die rationale Grundlage fehlt. Am 29. Mai gibt er in Wolkersdorf schriftlich sein Wort, künftig keinem Friedensvertrag mit Frankreich zustimmen zu wollen, der Tirol und Vorarlberg von Österreich trenne. Der Wortlaut des sogenannten „Wolkersdorfer Handbilletts“ wird in hoher Stückzahl unter der Bevölkerung verbreitet. Die Tiroler Aufständischen schöpften berechtigte Hoffnungen endgültig wieder dem österreichischen Kaisertum anzugehören.

Dem Tiroler Aufgebot gelingt es im Zusammenwirken mit regulärem österreichischem Militär in der zweiten Bergisel-Schlacht am 29. Mai 1809 die Franzosen empfindlich zu schlagen und zum Rückzug zu zwingen.

Nach der Konsolidierung der angeschlagenen französischen Korps nach der Schlacht von Aspern und durch die Heranziehung jeder verfügbaren Verstärkung – unter anderem königlich sächsischer Truppen[3] in Stärke von 13.000 Mann unter dem Kommando des französischen Marschalls Bernadotte – gelingt es Napoleon, Erzherzog Karl in der zweitägigen Schlacht von Wagram (Nahe Wien, 5. / 6. Juli 1809) entscheidend zu schlagen und den gesamten Feldzug für sich zu entscheiden. Der darauf folgende Waffenstillstand von Znaim (12. Juli) sieht den erneuten Rückzug der österreichischen Truppen – auch aus Tirol – vor.

Obwohl Kaiser Franz den Tirolern – in der Tat etwas leichtfertig – versichert hatte, ihr Land niemals mehr preiszugeben, ist er nach seiner Niederlage in der Schlacht von Wagram gezwungen, genau das zu tun. Als Österreich im Frieden von Schönbrunn (14. Oktober 1809) Tirol erneut den Bayern und Franzosen überlassen muss, wird ein großer Teil der Aufständischen dieser Meldung keinen Glauben schenken, da das Wort des Kaisers noch immer nachwirkt und ein Wortbruch des Monarchen außerhalb jeglicher Vorstellungskraft liegt.

Die Reußen entgehen dem Fiasko in der „Sachsenklemme“

Nachdem in offener Feldschlacht die Entscheidung auf dem Hauptkriegsschauplatz zugunsten von Franzosen und Bayern herbeigeführt wurde, marschiert in der zweiten Julihälfte 1809 eine 25.000 Mann starke Armee auf Napoleons Befehl von allen Seiten in das von regulärem, österreichischem Militär entblößte Tirol ein, um es endgültig zu „befrieden“. Die Truppen der Allianz stoßen an den Zugängen nach Tirol – an den Pässen und in Engtälern – auf den hartnäckigen Widerstand seiner Bewohner. Den mit Napoleon verbündeten Truppen schwere Verluste zugefügt.

Nach dem Scheitern des Versuchs bayerischer Truppen unter den Generalen Deroy und Wrede den Aufstand in Tirol niederzuschlagen, befiehlt Napoleon dem französischen Marschall Lefebvre, den Widerstand der Tiroler zu brechen und das Land zurückzuerobern.

Für die so genannte „2. Offensive nach Tirol“ konzentriert der Marschall im Juli 1809 insgesamt vier Divisionen bei Salzburg – darunter die vom französischen General Rouyer geführte „Division der deutschen Fürsten“ – eine aus Soldaten der Rheinbund-Staaten bunt zusammen gewürfelte Streitmacht.

Vorfahren unserer heutigen Nachbarn, Soldaten der Fürstentümer Reuß, sind zusammen mit den Kontingenten von Anhalt, Lippe, Schwarzburg und Waldeck dem 5. und 6. Rheinbundregiment zugeteilt.

Das ebenfalls zur Division gehörende Regiment „Herzoge zu Sachsen“, mit den Weimaranern und Hildburghäusern an der Spitze, versucht am 4. August –von den aufständischen Tirolern ständig in Gefechte verwickelt – durch die Eisackschlucht nach Brixen vorzurücken. Dabei ist ihm kein Erfolg beschieden.

Während die Division – mit den Reußen – im Eisacktal biwakiert, blutet das leichte Bataillon, das sich über den Fluss vorgeschoben hat und auf verlorenem Posten steht, im gezielten Feuer der Tiroler aus. In der Nacht zum 5. August überbringt ein Adjutant Lefebvres den Rückzugsbefehl. General Rouyer tritt daraufhin mit dem 5. und 6. Rheinbundregiment den Rückmarsch an – ein Glücksfall für die Reußischen Soldaten.

Bei den schweren Kämpfen in der Eisackschlucht hatte das Regiment in den zwei Tagen fast die Hälfte seiner Mannschaft verloren. Es blieb nur noch, sich auf Gnade oder Ungnade den siegreichen Tirolern zu ergeben. Noch in der Nacht werden die unverwundeten Offiziere von den Mannschaften getrennt und nach Schloss Rodeneck im Pustertal in Marsch gesetzt. Die verwundeten Offiziere werden nach Brixen transportiert, die verwundeten Unteroffiziere und Gemeinen kommen ins Hospital Neustift bei Brixen. Die übrigen Mannschaften werden in das Pustertal und andere Täler verteilt. Insgesamt 22 Offiziere sowie 946 Unteroffiziere und Soldaten gehen in eine monatelange Gefangenschaft.

Am 13. August 1809 kommt es auf einer Front von ca. 20 km Länge, die von Kranebitten im Westen bis Schloß Amras im Osten reichte, zur dritten Bergisel Schlacht. 15.000 Tiroler unter Führung Andreas Hofers kämpfen gegen 20.000 Franzosen und siegen. Ganz allein auf sich gestellt gelingt es dem Tiroler Aufgebot ein letztes Mal, ihr Land und seine Hauptstadt Innsbruck zu befreien.

Am 14. Oktober 1809 schließt Kaiser Franz mit Napoleon den Frieden von Schönbrunn und Tirol wird abermals an Bayern abgetreten.

Ohne die Einwilligung des Kaisers und selbst an der Rechtmäßigkeit seines Handelns zweifelnd, ruft Hofer am 1. November 1809 zur letzten Schlacht am Bergisel, die für die Tiroler mit einer vernichtenden Niederlage endet. In Innsbruck ziehen plündernd französische Truppen ein.

Am 11. November kommt es schließlich zum letzten Aufgebot: Am Küchelberg, oberhalb Meran, gelingt es den Passeirer Schützen, französisches Militär noch einmal in die Stadt zurück zu jagen. Ein von den Schützen im Gedenkjahr 2009 nahe dem Pulverturm in Meran errichtetes, beeindruckendes Denkmal und einige zeitgenössische Gedenksteine am Tappeinerweg erinnern daran.

Nachdem sie das „großzügige“ Angebot zur Selbstverleugnung und Notlüge abgewiesen haben, werden der Anführer des Aufstandes Andreas Hofer in Mantua und in Bozen der Mahrwirt Peter Mayr vor Militärgerichte gezerrt, wegen Insurrektion angeklagt, zum Tode verurteilt und durch Erschießen hingerichtet.

„Anno Neun“, Andreas Hofer und der Vogtländer Mosen

Mosen machte auf seiner Reise nach Italien 1825/26 die Bekanntschaft der gefürsteten Grafschaft Tirol. Es darf vermutet werden, dass der Poet während seines Aufenthalts in Innsbruck, spätestens jedoch bei der Passage des Eisacktals oder über den Jaufen durchs Passeier mit dem Nachhall des Tiroler Freiheitskampfes 1809 in Berührung gekommen sein dürfte. Schließlich waren beide Täler 1809 neben Innsbruck Brennpunkte der Auseinandersetzung zwischen den Tirolern und ihren Gegnern.

Unter dem mobilisierenden Einfluss der Juli-Revolution 1830 in Frankreich schuf der freiheitsliebende Mosen 1832 mit „Zu Mantua in Banden“[4] ein Gedicht, das weite Verbreitung und anhaltende Bekanntheit erlangte und ohne jeden Zweifel zum kulturellen Erbe des Vogtlandes, wie auch zum Erbe Tirols gehört.

Mosen beschreibt in seinem Gedicht vordergründig den Märtyrertod des Sandwirts auf den Mauern der Festung Mantua am 20. Februar 1810. Er benutzt den Stoff vor allem aber als wirkmächtiges Gleichnis, um die von staatlicher Zerissenheit gekennzeichneten Zustände im Deutschland seiner Zeit zu beklagen und die nationale Einheit der Deutschen zu beschwören.

Weitere zehn Jahre später dichtet Hoffmann von Fallersleben absichtsvoll auf die Melodie des Liedes „Gott erhalte Franz, den Kaiser“(Joseph Haydn 1797) „Das Lied der Deutschen“ – Ausdruck seiner Vision von einem wiedererstandenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Und es sollten weitere dreißig Jahre vergehen, bis aus dem Projekt deutscher Nationalstaat doch noch Realität wurde – allerdings unter Ausschluss Österreichs.

Epilog

Ganz besondere Bedeutung gewann das Andreas-Hofer-Lied für die Tiroler, als ihr Land von den Siegermächten des Ersten Weltkrieges in drei Stücke zerrissen wurde, die sich noch heute auf zwei Staaten verteilen.

Die Pariser Vorort-Diktate, die Basis für die Gestaltung der konfliktstoffreichen europäischen Nachkriegsordnung, belegten, dass die Doktrin des US-Präsidenten Wilson – Stichwort äußeres Selbstbestimmungsrecht der Völker -, das Papier nicht wert gewesen sind, auf das man sie gedruckt hatte. Heute besteht Konsens darüber, dass die Doktrin in die Kategorie der Kriegspropaganda einzuordnen sind.

Während sachverständige Vertreter der Deutschtiroler in Paris nicht gehört wurden, fand Ettore Tolomei, „Totengräber Süd-Tirols“ und berüchtigte Fälscher von Ortsnamen und anderen geographischen Bezeichnungen, Zugang zu den Verhandlungen. Er lieferte den Alliierten „Beweise“, die deren Entscheidungen sachlich zu legitimieren schienen, die Okkupation des Südens von Deutsch-Tirol vom Brenner bis zur Salurner Klause zu legalisieren und Italien für seinen Verrat an den einstigen Bündnispartnern den 1915 in London vertraglich zugesicherten Gebietsgewinn zu gewähren.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 bestätigten die siegreichen Alliierten den Verbleib Deutsch-Südtirols bei Italien, das nach dem Sturz Mussolinis die Seiten gewechselt hatte. Der bald nach Kriegsende deutlich sichtbar werdende Systemkonflikt verhinderte die Lösung der Tirol-Frage zu ihren Gunsten. Deutschland wurde geteilt, Tirol blieb geteilt.

Die nicht von Erfolg gekrönten Bemühungen in der 2. Hälfte der 1940er Jahre um die Wiedervereinigung Tirols ließen das ‚Andreas-Hofer-Lied‘ neue Aktualität gewinnen. Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Zukunft Tirols wurde „Zu Mantua in Banden“ demonstrativ, per Parlamentsbeschluss vom 2. Juni 1948, zur Hymne des österreichischen Bundeslandes Tirol erhoben.

Uns Deutschen war – als die außenpolitischen Bedingungen es zuließen – die Wiederherstellung der Einheit in Freiheit vergönnt. Die Wiedervereinigung war – das sollte nicht vergessen werden – mit einem System- und Bündniswechsel verbunden, mit der friedlichen Ablösung eines Gesellschaftsmodell durch ein anderes.

Willy Brand sprach auf einer Kundgebung am 23. Februar 1990 in Plauen die berühmt gewordenen und universell gültigen Worte, dass nun zusammenwächst, was zusammengehört.

Als historischer Optimist bin ich davon überzeugt, dass diese Worte auch die Zukunft Tirols beschreiben, den Tag nämlich, an dem auch hier wieder zusammenwächst, was zusammengehört.

[1]Die Tiroler Wehrverfassung beruhte auf dem so genannten Landlibell, einer Urkunde vom 23. Juni 1511,  die Kaiser Maximilian I.  ausgestellt hatte. Es legte im Einvernehmen mit den Tiroler Landständen fest, dass die Stände (ausschließlich) zur Verteidigung des Landes Kriegsdienste zu leisten hatten. Das Landlibell bildete einen Teil der Tiroler Landesverfassung und regelte somit die Ausgestaltung des Militärwesens. Seine Gültigkeit und Fortschreibung erstreckte sich bis ins Jahr 1918.

[2] Abensberg, 20. April, Landshut, 21. April, Eggmühl, 22. April, Regensburg, 23. April.

[3] Zum Dank für die 13.000 Soldaten, die ihm Sachsen im Krieg gegen Österreich zur Verfügung gestellt hatte, fügte Napoleon im Jahr 1809 Krakau und das bisher österreichische Neu-Galizien dem unter sächsischer Regierung stehenden Herzogtum Warschau hinzu und erhob dieses zum Großherzogtum. Die Treue zu Napoleon koste dem Königreich nach dem Wiener Kongress etwa die Hälfte seines Territoriums.

[4] Am 2. Juni 1948 erklärte das österreichische Bundesland Tirol das Andreas-Hofer-Lied, mit den Worten des „Ausländers“ Julius Mosen und in der kongenialen Vertonung durch den österreichischen Komponisten Leopold Knebelsberger (1814-1869), per Gesetz zur Tiroler Landeshymne.

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