WIEN/BOZEN – Die diesjährigen Nationalratswahlen in unserem Vaterland Österreich werden auch in Süd-Tirol sehr aufmerksam verfolgt. Insbesondere sind dabei die Positionen der einzelnen Parteien zu Südtirol Gegenstand zahlreicher Diskussionen, was ein sehr erfreulicher Umstand ist. Es bezeugt zum einen, dass das Interesse an den Geschehnissen in Österreich groß und damit das Zugehörigkeitsgefühl zu unserem geistig-kulturellen Vaterland ungebrochen ist – zum anderen wirken diese Diskussionen sehr belebend auf den in Süd-Tirol beginnenden Landtagswahlkampf. Dies kann nach unserem Verständnis nur im Sinne einer gelebten Demokratie sein, wobei der Südtiroler Schützenbund als überparteilicher Verband und Teil der Süd-Tiroler Zivilgesellschaft gerne einen Beitrag leisten möchte.
Wir haben uns daher erlaubt, die Südtirol-Sprecher aller Parlamentsclubs anzuschreiben und ihnen den nachfolgenden Fragenkatalog zugeschickt. Die Reihung der Antworten ist aufgrund der eingegangen Rückantworten erfolgt (FPÖ, NEOS, SPÖ, ÖVP – keine Antwort kam von den Grünen).
Links: NAbg. Werner Neubauer (FPÖ), rechts: NAbg. Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS)
Links: NAbg. Hermann Krist (SPÖ), rechts: NAbg. Hermann Gahr (ÖVP)
Fragen an die Südtirol-Sprecher der im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien:
1. Internationale Verankerung der Süd-Tirolautonomie
Italien hat bis heute die internationale Verankerung der Süd-Tirolautonomie nicht anerkannt, sondern beharrt offiziell auf dem Standpunkt, dass das Pariser Abkommen durch das 1. Autonomiestatut erfüllt worden sei, während sämtliche nachfolgenden Maßnahmen zugunsten Süd-Tirols (v.a. das sog. „Paket“) rein innerstaatliche Angelegenheiten seien. Wie ist die Position Ihrer Partei zu dieser Rechtsansicht des italienischen Staates?
NAbg. Werner Neubauer (FPÖ): Die Freiheitliche Partei hat stets die allein richtige Position vertreten, dass das sogenannte „Autonomie-Paket“ von 1969 sowie das darauf gegründete Autonomiestatut aus Maßnahmen besteht, die zur Erfüllung des Pariser Abkommens von 1946 unerlässlich waren. Aus unserer Sicht hätte diese unabdingbare Rechtsposition in der den Vereinten Nationen übermittelten Streitbeilegung von 1992 eindeutig – und auch von Rom unterschrieben – festgehalten werden müssen. Um einen Streit für beendet erklären zu können, muss ein Verhandlungsergebnis eindeutig, rechtlich garantiert und damit einklagbar sein. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Dr. Josef Klaus war jedoch bemüht, sich das lästige Südtirol-Problem vom Hals zu schaffen und es zur innerstaatlichen Angelegenheit Italiens zu machen. Deshalb setzte man Dr. Silvius Magnago und die Südtiroler Volkspartei unter Druck. Man erklärte den Südtirolern, dass sie auf eine wirksame Verankerung verzichten und das vorliegende Ergebnis annehmen müssten, denn mehr sei nicht erreichbar. 1966 sträubte sich die Landesversammlung der SVP noch dagegen, 1969 knickte Magnago ein und dann gab die Landesversammlung ihre Zustimmung. Es folgte die Streitbeilegungserklärung von 1992. In dieser hat Österreich den italienischen Rechtsstandpunkt „unpräjudiziert“ gelassen. Es kann nur eine Verletzung des unzulänglichen Pariser Vertrags bei dem Internationalen Gerichtshof (IGH) eingeklagt werden und dieser entscheidet dann, ob die verletzte Autonomiebestimmung zur Erfüllung des Vertrages notwendig war oder nicht. Bis jetzt hat bei Autonomieverletzungen Österreich den Weg zum Internationalen Gerichtshof gescheut, weil nicht sicher ist, ob der formaljuristisch urteilende IGH der österreichischen Rechtsmeinung folgen würde. Der Pariser Vertrag von 1946 – der erste Verrat des damaligen ÖVP-Außenministers Dr. Gruber an Südtirol – besteht aus 40 Maschinschreibzeilen und nur sehr allgemeinen Formulierungen. Was kann man daraus rein formaljuristisch zwingend ableiten? Bis jetzt war Wien das Prozessrisiko stets zu groß und deshalb hat man es den Südtirolern überlassen, sich durch Kuhhändel innerstaatlich mit Rom zusammenzuraufen. Trotz dieser misslichen und durch die ÖVP-Regierung Dr. Klaus wohl bewusst herbeigeführten Rechtslage ist die FPÖ willens, mit allen zur Verfügung stehenden politischen Mitteln dafür zu sorgen, dass die Südtirol-Frage nicht zur alleinig innerstaatlichen Angelegenheit Italiens verkommt. Es ist nicht unsere Aufgabe, immer und überall Rom Recht zu geben. Österreich hat die menschenrechtliche Abtrennung Südtirols vom Vaterland nie akzeptiert und der österreichische Nationalrat hat diese Position durch mehrere Beschlüsse bekräftigt. Deshalb ist die Südtirol Frage für uns Freiheitliche nicht abgeschlossen, solange die Südtiroler ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht durch eine Volksabstimmung über den Verbleib bei Italien ausüben haben können.
NAbg. Mag. Dr. Matthias Strolz (NEOS): Wir sind der Ansicht, dass das „Paket“ als Auslegungsübereinkunft des Pariser Vertrages nach Artikel 31(3)(a) der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) zu sehen ist. Als solche wären die darin enthaltenen Maßnahmen über das ursprüngliche Pariser Abkommen auch international verankert.
NAbg. Hermann Krist (SPÖ) [Fragen 1-3]: Südtirol nimmt traditionell einen besonderen Stellenwert in der österreichischen Außenpolitik ein. Insbesondere der Sozialdemokratie liegt die Entwicklung Südtirols am Herzen. Maßgeblich an diesem Erfolg waren auf Seiten Österreichs namhafte Sozialdemokraten, wie z.B. die Bundeskanzler Bruno Kreisky und Franz Vranitzky sowie Außenminister Peter Jankowitsch. Heute kommt der Südtirol-Autonomie auf europäischer Ebene Modellfunktion für die Lösung von Minderheitenkonflikten zu. Die Südtirol-Autonomie beruht völkerrechtlich auf dem Selbstbestimmungsrecht, das als fortbestehendes Recht von Südtirol in Form weitgehender Autonomie ausgeübt wird. Die ausgezeichneten bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Italien kommen auch Südtirol zugute. So werden bei Zusammentreffen mit Vertretern der Republik Italien für Südtirol wichtige Angelegenheiten laufend thematisiert und im Bedarfsfall in enger Abstimmung mit der Südtiroler Landesregierung auch deren Anliegen – sofern sie die Schutzfunktion Österreichs berühren – mit Nachdruck unterstützt. Die im Pariser Vertrag vom 5. September 1946 verankerte Schutzfunktion Österreichs für Südtirol, die sich auch aus der nachfolgenden Rechtspraxis ergibt, wird verantwortungsbewusst wahrgenommen. Durch den Paketabschluss und die Streitbeilegungserklärung ist in dieser österreichischen Grundüberzeugung bzw. Rechtsauffassung keine Veränderung eingetreten. Die Sozialdemokratie steht selbstverständlich voll und ganz zu dieser Schutzfunktion und ist entschlossen im Bedarfsfall Südtirol mit voller Kraft zur Seite zu stehen.
NAbg. Hermann Gahr (ÖVP): Für die ÖVP und für mich als Obmann des parlamentarischen Südtirol-Unterausschusses ist die Südtirolautonomie keine inneritalienische Angelegenheit, Österreich nimmt seine Schutzfunktion für Südtirol ernst und überwacht deren Entwicklung sehr genau. Bei der von der ÖVP verlangten „Aktuellen Stunde“ des österreichischen Nationalrates anlässlich des 25. Jahrestages der Streitbeilegung zwischen Österreich und Italien vor der UNO im Juni 2017 wurde festgehalten, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler so viel Autonomie wie möglich brauchen und die Autonomie dynamisch weiterentwickelt und an neue Erfordernisse angepasst werden muss. Österreich nimmt seine Schutzfunktion gewissenhaft wahr und setzt sich in enger Abstimmung mit der Südtiroler Landesregierung für die Weiterentwicklung der Autonomie ein. Auch die italienische Regierung erkennt die Schutzfunktion Österreichs an. So hat der italienische Premierminister Renzi bei den Verhandlungen zum Finanzabkommen zwischen Italien und Südtirol im Jahr 2014 den österreichischen Bundeskanzler schriftlich über das Abkommen informiert.
2. Schutzfunktion Österreichs für Süd-Tirol
In den letzten Jahren wurde die Süd-Tiroler Autonomie immer wieder durch einseitige Maßnahmen der italienischen Regierung beschnitten. Die Schutzfunktion Österreichs für Süd-Tirol wurde dabei des Öfteren von Süd-Tiroler Seite ins Spiel gebracht, auf die man sich gegebenenfalls berufen könne. Wie steht Ihre Partei zu dieser Schutzfunktion? Ist diese nach wie vor aktuell? Wie sollte diese Schutzfunktion heutzutage ausgeübt werden?
Neubauer (FPÖ): Die FPÖ tritt dafür ein, die Schutzfunktion Österreichs für Südtirol in der Österreichischen Bundesverfassung zu verankern. Dies würde auch jede künftige Bundesregierung binden. Bis jetzt hat die ÖVP diese Verankerung torpediert. Die Schutzfunktion bleibt aktuell, vor allem, solange Südtirol sein Recht auf Selbstbestimmung nicht ausüben kann. Die Schutzfunktion muss auf allen politischen zwischenstaatlichen und internationalen Ebenen so energisch ausgeübt werden, dass jede Autonomieverletzung für Rom zur internationalen Peinlichkeit wird. Vor allem in menschenrechtlichen Fragen darf Wien auch den Gang vor internationale Rechtsinstitutionen nicht scheuen. Um die Schutzfunktion wirksam ausüben zu können, ist es erforderlich, dass auch die Südtiroler Landesregierung den Mut aufbringt, öffentlich die Schutzmacht Österreich zum Beistand aufzufordern, statt andauernd Rom gefällig zu sein und eine durchaus verletzliche Autonomie fälschlich als die weltbeste Lösung aller Minderheitenfragen darzustellen. Damit schwächt man die eigene Position.
Strolz (NEOS): Durch den EU-Beitritt 1995 hat sich die Rolle Österreichs als Schutzmacht grundlegend geändert. Zahlreiche Bestimmungen des Pariser Abkommens (z.B. das „Accordino“ über den Warenverkehr) und des „Pakets“ werden heute von EU Recht überlagert. Die vertiefte wirtschaftliche Integration, die Einrichtung der Europaregion, sowie der de-facto Wegfall der Brennergrenze haben den Charakter der Schutzmachtfunktion verändert. Österreich sollte sich weiterhin für die Erhaltung der Südtiroler Autonomie einsetzen, aber auch die Auswirkungen der eigenen Politik (Stichwort: Schließung der Brenner Grenze) für Süd-Tiroler_innen besser bedenken.
Krist (SPÖ): siehe Antwort 1.
Gahr (ÖVP): Selbstverständlich besaß und besitzt die Ausübung der Schutzfunktion für Südtirol für die ÖVP einen hohen Stellenwert in der österreichischen Außenpolitik. Österreich hat in der Vergangenheit seine Schutzfunktion für Südtirol auf Basis des Völkerrechts und der guten Beziehungen zu Bozen und Rom gewissenhaft ausgeübt und wird die Entwicklung der Südtiroler Autonomie auch weiterhin genau beobachten. Südtiroler Anliegen wurden und werden laufend auf Basis der Schutzfunktion von Österreichischer Seite aus mit Nachdruck unterstützt. Aktuell gibt es einige offene Themen zwischen Südtirol und Italien, die mit viel Fingerspitzengefühl und vernünftig angegangen werden müssen, etwa die Frage der Toponomastik, der Orts- und Flurnamen oder bei der Frage der Begnadigung der ehemaligen Südtirol-Aktivisten.
3. Selbstbestimmung für Süd-Tirol
In Süd-Tirol wird immer wieder der Ruf nach Selbstbestimmung laut. Wie stehen Sie zur Frage der Selbstbestimmung für Süd-Tirol? Wann könnte Ihrer Meinung nach das Selbstbestimmungsrecht für Süd-Tirol zur Anwendung kommen?
Neubauer (FPÖ): Die FPÖ bekennt sich zum Selbstbestimmungsrecht Südtirols. Wir vertreten nicht die Position des österreichischen Außenministers Kurz, der in Südtirol behauptete, „das Selbstbestimmungsrecht sei durch die eingeräumte Autonomie erledigt, obsolet!“. Autonomieregelungen haben sich an den Bedürfnissen der geschützten Minderheit – nicht jener des Staates – zu orientieren. Vielmehr lehnen wir unsere Haltung an Prof. Felix Ermacora an: „Kein Staat der Erde kann auf die Dauer einem Volk die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht, aber wollen und fordern muss man sie!“. Österreich bzw. die FPÖ kann Südtirol auf diesem Wege lediglich begleiten. Die ersten Schritte dazu müssen die Südtiroler nun selbst setzen, daran gilt es zu arbeiten.
Strolz (NEOS): Im Völkerrecht gilt, es zwischen dem inneren und äußeren Selbstbestimmungsrecht zu entscheiden. Das innere Selbstbestimmungsrecht sieht dabei eine entsprechende Einbindung in den politischen Prozess, Selbstverwaltung, sowie Verwicklung von Minderheitenrechten wie Unterricht in der eigenen Sprache etc. vor. Entsprechend des Nationalratsbeschlusses vom Juli 2015 anerkennen wir, dass die Südtirol-Autonomie völkerrechtlich auf dem Selbstbestimmungsrecht beruht, das als fortbestehendes Recht von Südtirol in Form weitgehender Autonomie ausgeübt wird. Die Süd-Tirol-Autonomie ist mit hohem Maß an Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung verbunden und daher eine gelungene Form der Selbstbestimmung. So lange die innere Selbstbestimmung in diesem hohen Maße gewährt wird, ist ein Rückgriff auf das äußere Selbstbestimmungsrecht als nicht zielführend anzusehen.
Krist (SPÖ): siehe Antwort 1.
Gahr (ÖVP): Südtirols Selbstbestimmungsrecht wurde von Österreich immer unterstützt: Für Österreich besteht kein Zweifel, dass die Südtirol-Autonomie völkerrechtlich auf dem Gruber-De Gasperi Abkommen, das Südtirol die Möglichkeit gibt, seine Angelegenheiten in weitgehender Autonomie aus zu üben. Die Südtirolautonomie mit ihrem hohen Maß an Eigengesetzgebung und Selbstverwaltung gilt als eine besonders gelungene Form der Selbstbestimmung. Die Autonomie ist international verankert und wurde zu einem Bestandteil der europäischen Friedensordnung. Das Recht auf Selbstbestimmung ist also auf verschiedene Weise verwirklicht, es ist allerdings nicht mit dem Recht auf Sezession gleichzusetzen.
4. Doppelstaatsbürgerschaft für Süd-Tiroler
Bei sämtlichen Parteien der deutschen und ladinischen Volksgruppe, die im Süd-Tiroler Landtag vertreten sind, besteht Einigkeit darüber, dass eine Doppelstaatsbürgerschaft für Süd-Tiroler (also zusätzlich zur italienischen auch (auf Wunsch) die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen zu können) ein „Herzensanliegen“ ist. Wie steht Ihre Partei zur Frage der Doppelstaatsbürgerschaft für Süd-Tiroler? Gäbe es Maßnahmen, die Süd-Tirol setzen könnte, damit die Doppelstaatsbürgerschaft in Österreich eine breite Zustimmung findet?
Neubauer (FPÖ): Die FPÖ ist derzeit leider die einzige Partei im österreichischen Parlament, die offensiv die österreichische Staatsbürgerschaft für die Landsleute südlich des Brenners einfordert. Diese Forderung wird von uns auf zwei Ebenen betrieben. Einmal auf rechtlichem Wege, indem wir fünf Südtiroler rechtsfreundlich vertreten, um so vor österreichischen Gerichten dieses Recht zu erstreiten. Auf politischem Wege werden die Karten nach der Wahl am 15.Oktober neu gemischt. Wir haben immer gesagt, dass die Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft in einem künftigen Regierungs-Übereinkommen enthalten sein muss! Dann könnte bereits bei der nächsten Wahl nach Reut-Nicolussi wieder ein Süd-Tiroler im österreichischen Nationalrat die Interessen Südtirols vertreten.
Strolz (NEOS): NEOS steht Doppelstaatsbürgerschaften grundsätzlich positiv gegenüber, insbesondere für Unionsbürger. Auf lange Sicht würden wir daher die Aufwertung der Unionsbürgerschaft zur vollwertigen Staatsbürgerschaft begrüßen. Dadurch würde sich auch das Problem der Doppelstaatsbürgerschaften für Süd-Tiroler_innen lösen.
Krist (SPÖ): Die Einführung eines vereinfachten Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen ohne Niederlassungserfordernis und bei gleichzeitiger Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft ist mit einer Reihe von völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Hürden sowie praktischen Schwierigkeiten und einem grundlegenden Systemwandel des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts verbunden. Also ja, grundsätzlich möglich, aber in der aktuellen Regierung nicht auf der Agenda, es ist zur Zeit auch keine Mehrheitsbildung für die notwendigen Gesetzesänderungen unter den Parteien erkennbar, auch nicht innerhalb der SPÖ. Zusätzlich gibt es bis heute keine einheitliche und verbindliche Stellungnahme des Südtiroler Landtages mit klaren Vorstellungen wie genau die Durchführung ablaufen könnte.
Gahr (ÖVP): Die Doppelstaatsbürgerschaft war in den vergangenen Jahren mehrfach ein Thema im Südtirol-Unterausschuss im österreichischen Parlament. Eine entsprechende Bürgerinitiative wurde im Ausschuss genau auf etwaige positive oder negative Auswirkungen für die Südtirolerinnen und Südtiroler geprüft. Dabei hat sich herausgestellt, dass es erhebliche politische Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen einer Möglichkeit zum Erhalt der Doppelstaatsbürgerschaft auf die Schutzfunktion gibt. Eine weitere Gefahr ist die einer möglichen Spaltung der Südtiroler Gesellschaft. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass wir alle in einem gemeinsamen Europa als europäische Bürgerinnen und Bürger leben. Wir alle genießen dieselben Freiheiten innerhalb der Europäischen Union: Südtirolerinnen und Südtiroler können sich bereits heute jederzeit in Österreich niederlassen, bei uns studieren, arbeiten und leben. Aus diesen Gründen gibt es derzeit keine politische Mehrheit für die Doppelstaatsbürgerschaft, für Österreich haben die Ausübung der Schutzfunktion und damit die Überwachung der Minderheitenrechte der Südtirolerinnen und Südtiroler Priorität.
5. Begnadigung der Süd-Tirol-Aktivisten
Nach wie vor ist es Süd-Tirol-Aktivisten verwehrt, in ihre Heimat zurückzukehren, ohne dass sie mit Repressalien des italienischen Staates zu rechnen haben. Wie steht Ihre Partei zur Begnadigung der Süd-Tirol-Aktivisten?
Neubauer (FPÖ): Die FPÖ sieht die Angelegenheit so wie dies in einem Brief zahlreiche Südtirol-Aktivisten an Staatspräsidenten Scalfaro artikuliert hatten: Wir wollen Gerechtigkeit, nicht Gnade! Spätestens seit der Streitbeilegung hätte Italien in Form einer Generalamnestie diese mittlerweile humanitäre Frage, lösen müssen. Aufgrund von erschienenen Publikationen ist die Unschuld einiger Betroffener als erwiesen anzusehen. Wir werden deshalb weiterhin die Forderungen der Aktivisten unterstützen, so wie wir die Hoffnung nicht begraben haben, den Mörder von Luis Amplatz einer gerechten Strafe zuzuführen.
Strolz (NEOS): Hier gilt es, die damaligen Verurteilungen im Einzelfall zu prüfen. Bei Urteilen aus Verfahren, die möglicherweise modernen rechtsstaatlichen Kriterien nicht mehr entsprechen würden, sowie bei Minderbelasteten, ist eine Begnadigung denkbar.
Krist (SPÖ): Bis dato gibt es lt. unseren Informationen dieses Verlangen nur von (verschiedenen) Dritten und nicht von den Betroffenen selber. Laut Auskunft von Rechtsexperten müssten die Betroffenen zunächst offiziell einen Antrag auf Begnadigung stellen, Voraussetzung dafür ist ein Schuldeingeständnis. Es hat z.B.: mehrere Gespräche zwischen den Staatspräsidenten von Italien und Österreich gegeben, aber die Haltung der Italienern scheint unverändert hart zu sein. Es wäre durchaus an der Zeit dies zu überdenken und eine positive Lösung zu finden.
Gahr (ÖVP): Die Begnadigung der ehemaligen Südtirol-Aktivisten wäre nach über 50 Jahren ein Zeichen für Gerechtigkeit und Versöhnung. Die Aktivisten konnten seit den 1960er Jahren ihre Heimat Südtirol nicht mehr betreten. Die ÖVP und die österreichische Bundesregierung haben sich seit Jahrzehnten für eine Begnadigung eingesetzt. Sowohl Außenminister Sebastian Kurz 2016 beim damaligen Außenminister und nunmehrigen Premierminister Gentiloni, als auch Bundespräsident Heinz Fischer 2015 beim Besuch von Staatspräsident Mattarella haben das Thema angesprochen. Dieses Ansinnen wurde mehrfach von italienischer Seite abgelehnt, leider gibt es noch keine Signale für eine menschliche Lösung. Die ÖVP wird sich dennoch weiterhin für die Begnadigung einsetzen.
6. Zusammenarbeit zwischen Österreich und Süd-Tirol
Österreich ist für Süd-Tirol sowohl geistig-kulturelles Vaterland als auch ein sehr wichtiger Handelspartner. Eine Intensivierung der bereits guten Beziehungen ist für Süd-Tirol absolut notwendig. Welche konkreten Maßnahmen könnten Ihrer Ansicht nach von Österreich gesetzt werden, um die Zusammenarbeit mit Süd-Tirol weiter auszubauen? Welche konkreten Maßnahmen würden Sie sich von Süd-Tirol wünschen?
Neubauer (FPÖ): Der FPÖ-Tourismus-Sprecher NR Mag. Gerald Hauser tritt seit Jahren für eine Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit ein. So fordert er eine bessere Zusammenarbeit in der Europaregion Tirol. Hier bemängelt Hauser vor allem den überfälligen Zusammenschluss der Stromnetze am Brenner Auch könne man bei gemeinsamen Großveranstaltungen mehr „Tiroler Herz“ zeigen und im Tourismus besser zusammenarbeiten. Weiters sei die direkte Zugverbindung Wien – Innsbruck – Bozen ein wichtiger touristischer wie wirtschaftlicher Schritt.
Strolz (NEOS): Derzeit sehen wir es als wichtig an, dass die Süd-Tiroler_innen nicht zu den Leidtragenden einer verfehlten Asyl- und Flüchtlingspolitik werden und die Brenner Grenze daher nicht als populistische und sinnlose Maßnahme geschlossen wird. Des Weiteren, würden wir eine weitere Vertiefung der ohnehin schon engen Zusammenarbeit der Süd-Tiroler mit der Österreichischen Universitätslandschaft und Wissenschaft wünschen. Zusätzlich gäbe es Potential für verstärkte Zusammenarbeit in Fragen des Naturschutzes, der Verkehrspolitik sowie der wirtschaftlichen Entwicklung im alpinen Raum (Stichwort: EU-Alpenraumstrategie).
Krist (SPÖ): Die vielfältigen guten Beziehungen zwischen Österreich und Südtirol, insbesondere auf Basis der „Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“, müssen auch in Zukunft weiterentwickelt und ausgebaut werden. Dies gilt für die Schwerpunkte Bildung und Wissenschaft – z.B. gegenseitige Anerkennung von Studientiteln -, Kultur, Gesundheit, Infrastruktur, Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft. Die regelmäßigen Gespräche zwischen Süd- und Nordtirol müssen intensiv weitergeführt werden, genauso wie die informellen regelmäßigen Treffen zwischen den Abgeordneten des Österreichischen Parlaments, z.B. dem Südtirol Ausschuss mit den VertreterInnen des Südtiroler Landtags bzw. der Landesregierung.
Gahr (ÖVP): Wichtig ist, dass es weiterhin einen politischen und kulturellen Austausch zwischen Südtirol und Nordtirol gibt. Sei es bei der Realisierung des Brenner-Basis-Tunnels, in der Landwirtschaft bei der Bewältigung des aktuellen Problems Wolf/Bär oder eine verstärkte Kooperation im Tourismus; es ist notwendig, dass die Europaregion Tirol stärker ausgebaut und die Landesregierungen Nord- und Südtirols enger zusammenarbeiten. Nur so kann die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen Nord- und Südtirol ausgebaut werden. Den Minderheiten kommt in einem Europa der Regionen eine große Bedeutung zu. Auch in der Zukunft muss die Minderheitenpolitik in Europa ständig weiterentwickelt und angepasst werden. Ich wünsche mir ein starkes Europa mit starken und eigenverantwortlichen Regionen.