BOZEN – Landeskommandant Elmar Thaler findet die Replik von Senator Karl Zeller auf Thalers Aussagen zur Verfassungsreform sehr aufschlussreich, weil sie die Gefahren umso deutlicher aufzeigen.
Zunächst zu dem, was man an Zellers Replik teilen kann: tatsächlich hat sich Karl Zeller bei der Abstimmung zur Verfassungsreform Berlusconis enthalten. Damit erschöpft sich aber schon die Zustimmung. Denn was danach folgt, ist reines Wunschdenken des Senators Zeller. Ein Wunschdenken, das umso mehr verwundert, als dass Herr Zeller doch sonst immer sehr an einem „realistischen“ Politikansatz hängt.
Die Behauptung, dass Südtirol „nicht eine Kompetenz“ verlieren würde, wurde bereits von namhaften Verfassungsrechtsexperten (Stefanie Baroncelli, Roberto Toniatti) sowie von ehemals hochrangigen Vertretern von Zellers eigener Partei (v.a. Oskar Peterlini) ins Reich der Märchen verwiesen.
Der Großteil der Kompetenzen, die aufgrund der Verfassung von 2001 Südtirol zugekommen sind, besonders die konkurrierenden Kompetenzen, würden mit der vorliegenden Verfassungsreform grundsätzlich abgeschafft werden.
Ob Südtirol bei der Zentralisierung ungeschoren davon kommt, wird auf die von Senator Zeller zitierte „Schutzklausel“ ankommen. Doch diese ist, wie von den bereits zitierten Verfassungsrechtsexperten belegt, höchst auslegungsbedürftig. Diese Auslegung wird dem Verfassungsgerichtshof obliegen. Und hier sei daran erinnert, wieviel Vertrauen die SVP in diesen Verfassungsgerichtshof hat: als es darum ging, im Zuge des letzten Finanzabkommens mit Rom auf über 2 Milliarden Euro (!!), die Südtirol einklagen wollte, zu verzichten, war man allenthalben der Ansicht, dass dies ein „guter Deal“ sei, denn man könne nie wissen, wie der Verfassungsgerichtshof entscheidet.
Und nun möchte Senator Zeller gleich die ganze Autonomie dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes anheimstellen. Ein bemerkenswerter Vertrauensvorschuss, den man allerdings nicht unbedingt teilen sollte!
Die Aussage von Senator Zeller, „dass kein Beistrich am Autonomiestatut“ geändert würde, zeigt eigentlich nur, dass Zeller selbst im Eifer des Gefechtes wohl vergessen hat, was in der von ihm ansonsten stets so bemühten „Schutzklausel“ steht. Nämlich dass das Autonomiestatut „auf der Grundlage des Einvernehmens zu überarbeiten“ ist. Es dürfte dabei wohl mehr als ein „Beistrich“ geändert werden. Und wenn man keine Änderung des Statutes vornimmt, wird dieses im Lichte der neuen Verfassung vom Verfassungsgericht ausgelegt.
Die entscheidende Frage ist, was der Passus „auf der Grundlage des Einvernehmens“ bedeutet. Diesbezüglich gibt es berechtigte Zweifel, ob sich Zellers Wunschdenken bewahrheitet und dieses „Einvernehmen“ so stark ist, dass es Südtirol schützt. Für den Fall, dass kein Einvernehmen erzielt wird: Dazu kann ich Senator Zeller nur empfehlen, den Vorschlag seines Kollegen Gianclaudio Bressa zu konsultieren. Eigentlich sollte man ja annehmen, dass Senator Zeller dessen Position kennt. Mit 2/3-Mehrheit soll das römische Parlament das Autonomiestatut nach seinem Gusto abändern können, wenn das berühmte „Einvernehmen“ nicht erzielt wird.
Dies sollte jeden Bürger die Euphorie der SVP-Führung über Renzis Verfassungsreform hinterfragen lassen.
Vielleicht sollten nicht nur die Schutzklausel, sondern doch auch die weiteren, damit zwingend zusammenhängenden Texte und die neuen übergeordneten Prinzipien einer zentralistischen Verfassung gelesen werden? Das Verfassungsgericht wird dies nämlich mit großer Sicherheit tun.
Sehr aufschlussreich auch die Ansicht Zellers zum „nationalen Interesse“: Da dieses im Autonomiestatut steht (wogegen sich Zellers Partei im Übrigen jahrzehntelang gewehrt hat), sei es nun kein Problem, dieses „nationale Interesse“ auch gleich in die neue Verfassung (wieder) aufzunehmen? Sozusagen die ohnehin schon nicht rosige Situation nochmal zusätzlich zu verschärfen? Und sieht denn Herr Zeller nicht, wie ein „Ja“ gerade in dieser Frage Südtirols Verhandlungsposition in Rom schwächen würde? Denn wie möchte man in Rom die Streichung des „nationalen Interesses“ aus dem Autonomiestatut begründen (eine Forderung, die im Autonomiekonvent von den SVP-Vertretern einstimmig erhoben wurde), wenn man vorher der (Wieder-)Aufnahme eben dieses „nationalen Interesses“ in die Verfassung zugestimmt hat? Und: welchen Sinn hätte dann eine Streichung des „nationalen Interesses“ aus dem Autonomiestatut überhaupt noch? Es darf wohl angenommen werden, dass auch in einem „überarbeiteten“ Autonomiestatut vorgesehen sein wird, dass die „Grundsätze der Verfassung“ zu beachten sind. Und wenn in diesen „Grundsätzen“ das „nationale Interesse“ (wieder) Aufnahme findet, noch dazu verstärkt durch eine Suprematie-Klausel, würde dieses ohnehin für das „überarbeitete“ Autonomiestatut gelten, unabhängig von einer etwaigen Streichung dort.
Interessant zudem die Bemerkung Zellers, dass „alle Schritte zur Verfassungsreform“ mit Österreich abgesprochen worden seien. Im Südtirol-Unterausschuss, dem auch Vertreter der Regierungsparteien ÖVP und SPÖ angehören, scheint man dies anders zu sehen.
Schlussendlich folgt das übliche Lamento über die angeblich fehlende Liebe der Schützen zur Autonomie. Dazu sei Senator Zeller gesagt, dass wir Schützen uns stets für die Autonomie eingesetzt haben und einsetzen werden. Nur gilt bei uns die Autonomie eben nicht als „Ende der Geschichte“. Aber hier sei Herrn Zeller etwas Lektüre empfohlen, ausreichend dabei wären unsere letzten Pressemitteilungen zu diesem Thema. Im Übrigen erkenne ich persönlich in der italienischen Verfassung einige durchaus sehr lobenswerte Ansätze: so steht das Selbstbestimmungsrecht durch die Ratifizierung der entsprechenden UNO-Resolutionen in Italien im Verfassungsrang, eine Tatsache, mit der sich Senator Zeller einmal näher auseinandersetzen sollte.
Gerade nach dieser sehr aufschlussreichen Replik von Senator Zeller kann man nicht genug davor warnen, mit einem „Ja“ zu dieser zentralistischen Verfassungsreform die über Jahrzehnte hart erarbeiteten Rechte Südtirols zu gefährden, aufgrund reinen Wunschdenkens nach dem Motto „Renzi hat uns lieb“.
Ein klares „Nein“ zu einem zentralistischen Staat wird daher essentiell sein.