BOZEN – Die Kulturreferentin des Südtiroler Schützenbundes, Dr. Margareth Lun hat kürzlich Dr. Sabine Peer, Redakteurin der Wochenzeitschrift „Do Puschtra“ ein ausführliches Interview gegeben. Dabei antwortete sie auf Fragen bezüglich des Fremdsprachunterrichts Italienisch an den deutschen Schulen Südtirols. Mit den verschiedenen Sprachexperimenten wie CLIL und mehrsprachigen Immersionsprojekten geht Lun hart ins Gericht.
Dr. Sabine Peer: Wir Südtiroler lernen 13 Jahre bis zur Matura die zweite Landessprache. Aber die Erfolge der Beherrschung auf B2-Nivau (Maturaniveau) liegen nach wie vor bei beiden Sprachgruppen deutsch und italienisch in weiter Ferne. Was lief/läuft falsch am Sprachunterricht der Zweitsprache an unseren Südtiroler Schulen?
Dr. Margareth Lun: Leider wird – besonders in der Oberschule – immer noch eine veraltete Didaktik angewandt – da der Staat die Kulturvermittlung, und nicht das Erlernen der Fremdsprache in den Vordergrund stellt. Anstatt die Schüler dahingehend zu trainieren, im Alltag flüssig und korrekt, vor allem aber gerne zu sprechen, plagen die Lehrer heute noch die Jugendlichen jahrelang mit klassischer Literatur und einem Wortschatz, der z.T. seit Jahrhunderten nicht mehr angewandt wird. Die Italienischstunden hingegen würden den idealen Rahmen bilden, um sich einen heute gebräuchlichen Fachwortschatz anzueignen und diesen auch aktiv zu üben – und nicht Unterrichtsstunden der anderen Fächer, bei denen dann zwangsläufig deren Inhalte zu kurz kommen.
Peer: Mit der CLIL-Methode möchte man nun − nach Weisung der Landesregierung − dem (massiven) Mangel an Sprachbeherrschung beikommen. Seit dem 02.02.2016 darf mit Landesbeschluss an jeder Südtiroler Oberschule ab der zweiten Klasse die CLIL-Methode angewandt werden, d.h. Sach-Fach-Unterricht an einer deutsch- bzw. italienischsprachigen Schule in der Fremdsprache. Meist Italienisch/Deutsch, gelegentlich auch Englisch. Was ist gut und was ist weniger gut an der CLIL-Methode?
Lun: Ich kann der CLIL-Methode absolut nichts Positives abgewinnen. Im Gegenteil: Es ist gerade für eine Minderheit wie der unseren, die im Alltag fast ausschließlich Dialekt spricht, unzumutbar und kulturell bedenklich, dass der gesetzlich garantierte (!) muttersprachliche Unterricht zugunsten von Fremdsprachen immer mehr zu reduziert wird, weil damit zwangsläufig die Qualität des Fachunterrichts auf der Strecke bleibt – gerade bei komplexen Themen. Wo vielleicht einzelne Schüler profitieren, die aus gemischtsprachigen Familien kommen, zahlen der durchschnittliche und der weniger gute Schüler drauf.
Peer: Ich könnte mir vorstellen, dass z.B. ein Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern in der Oberschule, der vom Unterrichtenden ein fachbezogenes Hochschulstudium erfordert, durchaus anspruchsvoll sein kann. Welches Studium ist für CLIL-Lehrer erforderlich? Das entsprechende Sprachenstudium (Germanistik oder „Lettere“) oder das Fachstudium in der eigenen Muttersprache, das dann an einer Schule mit der Unterrichtssprache Italienisch unterrichtet wird bei einem Fachstudium in deutscher Sprache und umgekehrt?
Lun: Es müsste selbstverständlich sein, dass der Fremdsprachenlehrer mit den Schülern Texte aus verschiedenen Fachbereichen liest und aufarbeitet. Ein Italienischlehrer ist ohne weiteres imstande, mit seinen Schülern einen Artikel aus „Il sole 24 Ore“ zu besprechen, ohne dass er gleich ein Wirtschaftsstudium absolviert haben muss.
Peer: Die CLIL-Methode spricht ausschließlich von KEINEM Sprachunterricht, d.h., das Übersetzen von Inhalten entspricht nicht dem CLIL. Setzt das nicht voraus, dass die Schüler bereits die Unterrichtssprache fließend beherrschen müssen? Aber gerade hier gibt es gewaltige Lücken bei beiden Sprachgruppen in allen Schulstufen. Was halten Sie davon?
Lun: Es leuchtet jedem ein, dass Fachunterricht in einer Fremdsprache, die die Schüler nicht fließend beherrschen, auf ein absolutes Minimum reduziert werden muss, weil sich die Schüler in der zur Verfügung stehenden Zeit nur einfache Inhalte aneignen können. Was soll bitte ein Schüler vom Kunstgeschichteunterricht auf Französisch mitbekommen, wenn er überhaupt erst das zweite Jahr das Fach Französisch hat, wie dies etwa im Neusprachlichen Gymnasium in Bozen der Fall ist? Selbstverständlich bleibt dabei auch der deutsche Fachwortschatz auf der Strecke, und jene, die z.B. ein Universitätsstudium beginnen, sind in diesem Bereich fachlich nur unzureichend vorbereitet.
Peer: Wie sehen Sie das: Ein Schüler/eine Schülerin hat Probleme mit der Fremdsprache, aber eine (sehr) gute Begabung für den Sach-Fach-Unterricht. Muss diese/r nun damit rechnen, eine schlechtere Bewertung zu riskieren, weil sie/er sprachliche Probleme hat, oder wird auf Sprachkorrektheit nur mehr im reinen Sprachunterricht Wert gelegt?
Lun: Dass die CLIL-Lehrpersonen von oben dazu angehalten werden, keine negativen Noten zu vergeben, da Rekurse befürchtet werden – schließlich hat ja laut Art. 19 des Autonomiestatuts jeder das Recht auf muttersprachlichen Unterricht −, das spricht wohl Bände. Letztlich ist die Bewertung im CLIL-Unterricht nicht mehr aussagekräftig, weil sie oft beschönigt wird. Jedes Elternteil und jeder Schüler kann gerichtlich klagen, weil er nicht zu seinem Recht gekommen ist, den Fachunterricht in seiner Muttersprache zu erhalten.
Peer: Läuft man eigentlich Gefahr, Sach-Fach-Inhalte nur in jener Sprache wiedergeben zu können, in der man diese unterrichtet bekommen hat aus Ermangelung der entsprechenden Fachterminologie in anderen Sprachen?
Lun: Wer nicht auf eine solide Grundfachausbildung in der eigenen Sprache mit entsprechendem Fachwortschatz zurückgreifen kann, lernt z.T. die Fachausdrücke in der eigenen Sprache gar nie kennen. Das beginnt bei den geografischen Namen, die ein Schüler dann vielleicht nur auf Englisch oder Italienisch kennt, und reicht bis zum naturwissenschaftlichen und zum technischen Fachwortschatz.
Peer: Der Gesetzestext spricht bei CLIL nur von Oberschulen. Ich habe aber das Gefühl, dass vielfach in den Grund- und Mittelschulen von identischen Sprachprojekten die Rede ist, die lediglich unter einem anderen Namen fungieren, etwa „Mehrsprachlichkeitsunterricht“ und dergleichen. Welche Erfahrungen haben Sie?
Lun: Der „Immersionsunterricht“ war eigentlich immer ein Steckenpferd der italienischen Schulen, ebenso wie alle möglichen anderen Sprachprojekte. Laut italienischem Schulamt gibt es aber keine Studie über einen eventuellen Erfolg des Immersionsunterrichtes. Sowohl die Zweisprachigkeitsprüfungen, wo immerhin 5% mehr Deutsche durchkommen als Italiener, als auch die Pisa-Studie und die von der EURAC durchgeführte KOLIPSI-Studie (4. Oberschule und ital. Schulamt), wo die deutschen Oberschulen ebenfalls wieder 1 Stufe besser abgeschnitten haben als die italienischen (bei 5 Stufen), beweisen, dass das deutsche Schulsystem besser ist. Wieso sollten wir dann von unserem guten Schulsystem weggehen und uns an Methoden der italienischen Schulen anpassen?
Peer: Warum erlaubt der Gesetzestext offiziell den CLIL-Unterricht erst ab der zweiten Klasse Oberschule?
Lun: Weil sich jene, die das ausgeheckt haben, bewusst sind, dass das Bildungsniveau sinkt, je früher man flächendeckend den Fachunterricht in einer Fremdsprache anbietet. Eine Sprache ist ein ideales Werkzeug, aber eben nur ein Werkzeug, eine von vielen Kompetenzen, aber kein Inhalt zum Selbstzweck. Und noch etwas: Auch wenn viele Südtiroler der Meinung sind, dass ihre Kinder nicht früh genug die Zweitsprache erlernen können, so gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von seriösen Studien, die das Gegenteil belegen. Hand aufs Herz – kein einziges deutsches Kindergartenkind spricht nach drei (!) Jahren im italienischen Kindergarten fließend Italienisch, und umgekehrt kein italienisches Deutsch. Wer hingegen als Erwachsener auch nur ein halbes Jahr im fremdsprachigen Ausland verbringt, beherrscht diese Sprache.
Peer: Sie sind Deutschlehrerin an einer deutschsprachigen Mittelschule. Sie sind Absolventin eines Germanistikstudiums, das Sie zum Deutschunterricht an deutschen Muttersprachlern ausgebildet hat. Hier bei uns in Südtirol dürften Sie aber auch Deutsch an italienischsprachigen Schulen unterrichten. Dasselbe gilt natürlich für Ihre Kollegen, die den Abschluss „Lettere“ haben, der zum Unterricht an italienischen Muttersprachlern ausbildet. Für den Italienischunterricht an deutschsprachigen Schulen ist aber dieses Studium in Südtirol auch ausreichend bzw. einzig möglich. Das Studium „Italienisch als Fremdsprache“ ist nicht Voraussetzung, genauso wenig wie „Deutsch als Fremdsprache“ an italienischen Schulen. Im Gegenteil: Bei uns darf man Italienisch an deutschen Schulen nur unterrichten, wenn man italienischer Muttersprache ist und umgekehrt. Studiert ein deutschsprachiger Südtiroler „Italienisch“ z.B. an der Uni IBK, dann darf er zwar Italienisch in Österreich oder Deutschland unterrichten, aber nicht hier bei uns in Südtirol. Läuft da nicht etwas völlig falsch am Unterricht in der Zweitsprache? Wäre es nicht gerade für den Anfangsunterricht ganz wichtig, dass man alles in seiner Muttersprache erklärt bekommt? Dass man eine Fremdsprache auch als Fremdsprache lernen darf? (Stichwort: Märchen! Hochkomplexer Sprachaufbau, wird als kindgerecht in den untersten Klassen behandelt.)
Lun: Nicht nur der Unterricht in der eigenen Muttersprache ist gesetzlich garantiert, sondern im Art. 19 des Autonomiestatuts ist auch festgelegt, dass die Deutsch- und Italienischlehrer selbst dieser Sprachgruppe angehören müssen. Das garantiert ein qualitativ höheres Niveau, als wenn beispielsweise ein deutscher Südtiroler Italienisch unterrichtet (siehe CLIL!) und umgekehrt. Deshalb werde ich nicht müde, dafür zu plädieren, dass Inhalte aus Geografie, Naturwissenschaften, Technik, Wirtschaft usw. zusätzlich zum muttersprachlichen Fachunterricht auch im Fremdsprachenunterricht behandelt werden sollen, damit die Schüler parallel zum deutschen Fachwortschatz auch einen italienischen und einen englischen aufbauen können. Dass „Zweitsprachenlehrer“ eigentlich Fremdsprachenlehrer mit entsprechender akademischer Ausbildung sein müssten, ist für mich selbstverständlich. Die derzeitige Situation hängt damit zusammen, dass uns der italienische Staat als Italiener sieht, die halt zufällig deutsch sprechen, und dass das italienische Bildungsministerium immer noch nicht erkannt hat, wie sinnlos es ist, an den Schulen monatelang mittelalterliche Literatur wie die „Divina Comedia“, durchzunehmen, während die Jugendlichen kaum imstande sind, sich im Alltag mit Gleichaltrigen auf Italienisch zu unterhalten oder eine italienische Tageszeitung zu lesen.
Peer: Gerade wir hier in Südtirol haben inzwischen eine sehr lange Erfahrung mit Sprachunterricht in der Zweitsprache (der ewig erfolglos zu bleiben scheint) und auch damit, dass wir aufgrund unserer eigentlichen Muttersprache, nämlich Dialekt, unsere enormen Probleme haben mit der korrekten Sprachbeherrschung in Deutsch. Müssten inzwischen nicht genügend Experten zur Verfügung stehen, die sich mit unserer Problematik eingehend beschäftigt haben, um die Probleme bei der Wurzel zu packen? Warum kommt man dem Problem „unzureichende Sprachbeherrschung“ nicht bei?
Lun: In der Tat muss bei uns die Schriftsprache wie eine Fremdsprache erlernt werden. Die deutschen Südtiroler Schüler haben aber gar nicht eine so schlechte Sprachkompetenz, wie allgemein angenommen. Das wird auch durch die letzte Pisa-Studie belegt, die aufzeigt, dass die Schüler der deutschen Schulen in Südtirol nicht nur in Mathematik und Naturwissenschaften signifikant über dem OECD-Durchschnitt abgeschnitten haben, sondern auch im Lesen, während jene der italienischen Schulen weit unter dem OECD-Durchschnitt lagen. In meinem Unterricht lege ich auch sehr großen Wert auf das korrekte, flüssige, rhetorisch geschulte Sprechen, das jahrelang trainiert werden muss – meines Erachtens noch viel mehr als das Schreiben, das aber ebenfalls wichtig ist.
Peer: Was ist Ihrer Meinung nach ein guter Sprachunterricht in Deutsch und ein guter Sprachunterricht in der Fremdsprache?
Lun: Die eigene Sprache zu beherrschen, sie korrekt anzuwenden und über einen großen Wortschatz zu verfügen, der die Türen zu unzähligen anderen Bereichen öffnen kann, das ist eine Frage der Kultur und Ausdruck des geistigen Horizonts. Ein guter Unterricht, sowohl der in der Muttersprache als auch der in den Fremdsprachen, ist jener, der die Freude daran vermittelt, eine Sprache zu beherrschen. Guter Fremdsprachenunterricht darf aber niemals auf Kosten der Muttersprache gehen, sondern er ist nur ein zusätzliches Werkzeug, das den Schülern in die Hand gegeben wird.
Peer: Was halten Sie davon, dass wir bei unseren z.T. (lebenslang) rudimentären Kenntnissen in der jeweiligen Zweitsprache seit ein paar Jahren auch Englisch ab der vierten Grundschulklasse unterrichtet bekommen?
Lun: Das ist in der heutigen Zeit einfach nötig, weil das Englische im Alltag immer mehr an Bedeutung gewinnt – denken wir nur an die Computersprache. Bemerkenswert ist allerdings, dass die meisten Schüler lieber Englisch als Italienisch lernen.
Peer: Warum glauben Sie, unterstützt die Landesregierung zunehmend mehr die CLIL-Methode?
Lun: Es ist derzeit in Mode, dass der Sprachunterricht über jedes Fachwissen gestellt wird. Die Spätfolgen werden sich noch zeigen, wenn unsere Oberschulabgänger inhaltlich nur dürftig auf die Universität und das Berufsleben vorbereitet sind. Fremdsprachenkenntnisse sind zwar wichtig, aber die Schule darf nicht als ganze Institution dafür missbraucht werden, sondern sie hat bei Gott noch andere Aufgaben.
Peer: Besteht die Gefahr einer Sprachverwässerung bei CLIL? (Das „Mezz-per-sort“ kennen wir ja schon aus den Gebieten in und um Leifers.) Oder ist diese Gefahr nicht gegeben, weil wir ja in den Schulen entsprechend angewiesen werden?
Lun: Das hängt vom Lehrer und von der Sprach- und Sprechkultur in den Familien ab, aus denen die Schüler stammen. Wenn jemand den Fachwortschatz nur in einer anderen Sprache beherrscht, kann es allerdings sein, dass er gar nicht anders kann, als Ausdrücke in einer anderen Sprache unterzumischen.
Peer: Welche sinnvolle Alternativen gibt es in Ihren Augen zum CLIL-Unterricht?
Lun: Es ist − gerade beim Italienischunterricht − unabdingbar, zu differenzieren. Schülern, die aus zweisprachigen Familien kommen und die zweite Sprache bereits gut beherrschen, müssen im Unterricht andere Angebote gemacht werden wie jenen, die effektiv erst die Sprache als Fremdsprache erlernen müssen.Sinnvoll wäre hier unter anderem auch ein zusätzliches Angebot für schwächere Schüler als freiwilliges Wahlfach. Außerdem müssen die didaktischen Methoden grundlegend überdacht werden. Vor allem das Sprechen muss trainiert werden, während im Gegenzug die klassische Literatur auf ein Minimum gekürzt werden muss. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Lehrer ihre Schüler während des Unterrichts verpflichtend auf die Zweisprachigkeitsprüfung vorbereiten würden. Und – last but not least – ist die Eigeninitiative der Eltern gefragt. Ich denke hier an Sommerkurse, Sportangebote in einer anderen Sprache, Tandemangebote und vieles mehr. Auf keinen Fall dürfen deutsche Bildungseinrichtungen, und dazu zähle ich explizit auch die Kindergärten! − als Gratis-Fremdsprachenkurse missbraucht werden.