SÜDTIROL – Zum 70. Mal jährt sich heuer die Kundgebung der Unterlandler auf Kastelfelder. Der Schützenbezirk Süd-Tiroler Unterland möchte mit diesem Bericht, einem Auszug aus dem Buch von Josef Fontana „Neumarkt-Ein Beitrag zur Zeitgeschichte des Unterlandes“, an diese Ereignisse vom Mai 1946 erinnern. Sie veranschaulichen einmal mehr die besondere Rolle des Unterlandes sowie die Tirolische Gesinnung und das Identitätsbewusstsein der Bewohner des sogenannten „Deutschen Süd“.
Mai 1946. Der Krieg ist gerade mal ein Jahr aus und in der Südtiroler Gesellschaft macht sich die Hoffnung breit: Wir kommen zu Österreich. Viele junge Südtiroler, die damals teilweise noch nicht vom Krieg und/oder Gefangenschaft zurückgekehrt waren, hatten dieselbe Hoffnung. Die am 8. Mai 1945 gegründete Südtiroler Volkspartei hatte die Forderung nach Selbstbestimmungsrecht für Südtirol in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Auch im Unterland war man gewillt und motiviert die Partei zu unterstützen und auf eine feste Basis zu stellen. Der Aurer Josef Geier, ein Mann der es verstand, Rechtsstandpunkte mit Anstand, aber fest, bestimmt und unnachgiebig zu vertreten, koordinierte den Aufbau der SVP im Unterland. Die Verbindung mit der Zentrale in Bozen lief über den damals jungen Rechtsanwalt Dr. Toni Ebner aus Aldein.
Selbstbestimmungskundgebungen in ganz Südtirol
Auch im Unterland waren an Wänden und Haustoren Aufschriften wie „Südtirol zu Österreich“, „Selbstbestimmung für Südtirol“ oder „Südtirol bleibt Deutsch“ sowie das Bildnis des Tiroler Adlers Motive, welche klar und deutlich die politische Meinung der Unterlandler zum Ausdruck brachten.
Das Selbstbestimmungsrecht verlangten damals jedoch nicht nur junge Burschen sondern nahezu alle politisch denkenden Menschen. Memoranden und Petitionen mit diesem Verlangen gingen laufend an die alliierten Mächte ab, begleitet stets auch mit Karten, welche ganz Südtirol inkl. dem Unterland wie auch Ampezzo und Buchenstein sowie anfangs gar auch Fassa und Fleimstal, auswiesen und somit keine Zweifel über das Gebiet aufkommen ließen. Die über das Schicksal Südtirols entscheidenden Staatsmänner waren über das Streben nach Selbstbestimmung also informiert. Trotz dieses Wissens entschied sich die Außenministerkonferenz am 30. April 1946 gegen eine Grenzverschiebung zwischen Österreich und Italien. Was folgte war eine Welle von Demonstrationen. In Innsbruck trat die Landesregierung zurück und ganz Nordtirol stand im Generalstreik. Zehntausende Südtiroler forderten am 5. Mai 1946 in Sigmundskron, Brixen und Meran, am 12. Mai in Sterzing, am 19. Mai in Klausen und Schlankes und am 26. Mai in Toblach in Kundgebungen das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol.
Die besondere Situation im Unterland
Und im Unterland? Im Unterland war die Situation etwas anders. Das Südtiroler Unterland war seit der Errichtung der Provinz Bozen im Jahre 1927 Teil der Provinz Trient. Mit dieser Situation war man im Unterland, dem deutschen Süd, natürlich mehr als unzufrieden. Auch aus diesem Grund hatte die SVP im Unterland für den 21. April 1946 eine Volksversammlung in Auer einberufen, um der Regierung des demokratischen Italiens den einheitlichen Wunsch nach Rückgliederung ihrer zur Provinz Trient geschlagenen Gemeinden an die Provinz Bozen zur Kenntnis zu bringen. Die Reaktion der Trienter Quästur war ein Verbot ohne Angabe von Gründen. Die Unterlandler waren deshalb auch nach Sigmundskron gekommen, um für das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol und für die Heimkehr des Unterlandes zu demonstrieren. Dr. Karl von Lutterotti brachte in seiner Eröffnungsrede die Verbundenheit ganz Südtirols mit dem Unterland zum Ausdruck.
Am 30. Mai 1946 konnten die Unterlandler dann endlich ihre Kundgebung nachholen, jedoch mit der Bedingung jede Erwähnung des Selbstbestimmungsrechtes zu unterlassen. An die 4000 Leute, darunter auch Delegationen aus dem Fleims- und Fassanal kamen bei strömenden Regen auf Kastelfeder zusammen.
Bezirksobmann Josef Geier forderte, dass das Südtiroler Unterland nach einem Vierteljahrhundert faschistischer Unterdrückung zu Südtirol zurückkomme. Scharf wandte er sich gegen die Wiedereinstellung faschistischen Personals, das trotz aller Demokratie und aller schönen Worte heute wiederum dort regiere, wo es bis 1943 gesessen sei.
Hans Tiefenbrunner aus Entiklar verwies seine Landsleute auf den Bundesherrn, das Heiligste Herz Jesu, das alle Tiroler, wenn sie von Willkürgrenzen getrennt seien, unter seinen göttlichen Schutz stelle. Wie Geier betonte er die Zugehörigkeit des Unterlandes zu Südtirol.
Ein Grußwort der Pusterer, Ampezzaner und Buchensteiner überbrachte auch der Achtzigjährige Baron Paul von Sternbach.
Zum Schluss nahm die Volksversammlung eine von Dr. Toni Ebner verlesene Entschließung an, die die den Unterlandlern angetane Vergewaltigung durch Zuteilung an die Provinz Trient verurteilte.
Die Bewohner von Aldein, Altrei, Auer, Branzoll, Kurtausch, Margreid, Montan, Neumarkt, Salurn, Dramen und Truden erneuerten die Forderung, die sie am denkwürdigen Volkstag von Neumarkt im Jahre 1921 gestellt hätten:
Das Land nordwärts von Salurn ist tirolerisches Land. Wir sind seit Jahrtausenden Tiroler und gehören zu unseren Brüdern von Bozen, Brixen und Meran. Wir lassen uns nicht trennen, in guten wie in bösen Tagen wollen wir in unlösbarer Verbundenheit das gleiche Los teilen. Das Unterland zu Bozen, Südtirol den Südtirolern!“
Nach dem Abspielen einiger Märsche durch die Musikkapellen von Aldein, Dramen und Kurtausch traten die Leute friedlich den Heimweg an. Den Ordnungshütern war die gesamte Volksversammlung wie auch der Heimweg dann wohl doch zu friedlich, sie waren geradezu auf der Suche nach einem Skandal. Die Traminer Kundgebungsteilnehmer kehrten geschlossen und Lieder singend in ihr Dorf zurück. Ein Bursche trug eine Tiroler Fahne vor der Gruppe her. Das war schon zufiel für ein italienisches Gemüt. Die Fahne wurde vom Maresciallo beschlagnahmt und der Bursche in die Kaserne gebracht. Kurz darauf wurde auch der 45jährige Hans Pernstich verhaftet. Vor der Kaserne verlangten die versammelten Traminer die Freigabe der beiden Männer und die Herausgabe der Fahne. Anstatt dieser Forderung gerecht zu werden schoß der Maresciallo mit einer Maschinenpistole über die Köpfe der Menge hinweg. Diese ließ sich jedoch nicht einschüchtre und verjagen. Der rabiate Ordnungsmann musste dann doch nachgeben. Am späten Abend aber erhielt der Maresciallo Verstärkung: der Carabinierihauptmann von Neumarkt kam angefahren mit 20 Mann und zwei Panzerwagen. Zunächst nahmen die Ordnungshüter den Burschen Erwin Zwerger fest, der in der Nähe etwas auffällig gehustet hatte. Die Provokation brachte ihm Ohrfeigen und eine Tracht Prügel ein. Um Mitternacht drangen die Carabinieri ins Haus der Familie Menapace ein, weil Rainer und Helene Menapace den Protest der Menge vor der Kaserne vom Fenster aus unterstützt hatten. Das sollten sie jetzt büßen. Rainer Menapace hatte sich aber rechtzeitig aus dem Staub gemacht. So verhafteten sie die Schwester Helene, welche sich jedoch weigerte, den Carabinieri zu folgen und sich am Tor festhielt. Erst mit Fußtritten und Faustschlägen gelang es den Carabinieri die Anklammerung der Frau zu lösen. Die Bemerkung der Carabinieri: „è l’unico metodo per trattare teste così dure.“
Die Rückgliederung an Südtirol konnten die Unterlandler in diesen Tagen im Mai 1946 nicht erreichen, ihren, wie von Josef Geier erwähnten, „harten und entschlossenen Willen“ jedoch brachten sie mit dieser Volksversammlung auf Kastelfeder mit aller Klarheit zum Ausdruck.
Quelle: Josef Fontana/Neumarkt – Ein Beitrag zur Zeitgeschichte des Unterlandes 1993 – ISBN 88-7014-732-0