SALURN – Auch am Sonntag, den 13. Dezember 2015 nahmen in Salurn wieder 300 Schützen und zahlreiche andere Personen an der Gedenkfeier für Dr. Josef Noldin teil. Der junge Rechtsanwalt und Organisator der Katakombenschule im Südtiroler Unterland hat seinen selbstlosen und idealistischen Einsatz für den Erhalt der deutschen Muttersprache mit seiner persönlichen Freiheit und schließlich mit seinem Leben bezahlt.
Unten den Anwesenden waren auch der Landeskommandant des SSB, Major Elmar Thaler, die Landtagsabgeordneten Tamara Oberhofer, Walter Blaas, Sigmar Stocker und Oswald Schiefer, der Bürgermeister von Salurn, Roland Lazzeri mit den deutschen Gemeinderäten Salurns sowie Vertreter der Kaiserjäger.
In der von der Musikkapelle Salurn mitgestalteten Messfeier fand Pfarrer Paolo Crescini dem Anlass und der Zeit entsprechende Worte. Im Anschluss an die heilige Messe fand die Gedenkfeier auf dem Salurner Friedhof statt.
Die Begrüßung dort erfolgte durch den Salurner Schützenhauptmann Arno Mall, dem es treffend gelang, zur aktuellen Situation im Lande und zu den Unabhängigkeitsbestrebungen in Europa Stellung zu nehmen und zeitgleich würdig Josef Noldins zu gedenken.
Gedenkrednerin war heuer die Kulturreferentin des Südtiroler Schützenbundes, Dr. Margareth Lun, die dazu aufforderte, unsere Rolle als Europäer angesichts der aktuellen Herausforderungen durch die Flüchtlingsströme zu überdenken und zugleich umso mehr darauf zu achten, dass die eigenen kulturellen Wurzeln gepflegt werden. „Verwurzelt in unserer Kultur zu sein, bedeutet, einen sicheren Stand zu haben, den kalten Winden − aus welcher Richtung auch immer − standhalten zu können, und einen Rastplatz für jene bieten zu können, die erschöpft sind. Aber dafür müssen wir etwas tun!“, betonte Lun in ihrer Rede, in der sie mit Sprachexperimenten wie dem CLIL-Unterricht hart ins Gericht ging.
Nach der Ehrensalve durch die Schützenkompanie Salurn wurde am Grabe Noldins ein Kranz niedergelegt. Nach der Landeshymne begaben sich Formationen und Teilnehmer zum Noldin-Haus, wo bei Suppe und Umtrunk diese würdige Gedenkfeier endete.
Die zahlreiche Teilnahme an der Josef-Noldin-Gedenkfeier beweist einmal mehr, dass bei einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der heutigen Zeit und Situation in unserem Land ein würdiges Gedenken mehr als Sinn macht und wichtig ist für den Weg in eine gerechte und friedliche Zukunft.
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Gedenkrede von Dr. Margareth Lun
Sehr geehrte Anwesende!
Ich kann mich noch genau an diese Szene aus meiner Gymnasialzeit erinnern. Mit stolzgeschwellter Brust erklärte uns unser Deutschlehrer, dass er von sich behaupten könne, noch nie in seinem Leben eine Jeans getragen zu haben – für ihn schließlich der Inbegriff amerikanischer „Unkultur“.
Gerne redete derselbe Professor von deutscher Kultur und humanistischer Bildung, was ihn aber keineswegs daran hinderte, meine 11 Mitschüler aus zweisprachigen Familien regelrecht zu mobben, anstatt dafür zu sorgen, dass sie perfekt Deutsch lernten.
Wie Sie sich vorstellen können, hatte er somit seine Chance bei uns 26 Schülern, die wir allesamt jeansbehost in den Bänken saßen und eine ausgesprochen gute Klassengemeinschaft pflegten, verspielt.
Was uns damals unglaublich ärgerte, gibt mir heute mehr denn je zu denken.
Denn gerade heute gilt es in besonderer Weise, unserer Rolle als Europäer gerecht zu werden. Als Europäer, die lernen müssen, mit den Anforderungen dieser Tage umzugehen. Mit den Flüchtlingsströmen und damit mit zutiefst hilfsbedürftigen, oft verzweifelten Menschen mit einem komplett anderen religiösen, kulturellen und weltanschaulichen Hintergrund.
Liebe Zuhörer, aufgrund unserer abendländischen Kultur und unseres christlichen Glaubens ist unsere Gesellschaft geradezu verpflichtet, zu helfen, sozial zu denken, zu agieren, und nicht vor dem ganzen menschlichen Elend den Kopf in den Sand zu stecken.
Hier gilt es − im Großen wie im Kleinen – brauchbare Lösungen zu finden. Um die Stabilität unserer europäischen Gesellschaft zu erhalten, müssen wir integrieren, da bleibt uns gar nichts anderes übrig.
Unsere eigene Rolle zu überdenken, heißt zugleich aber auch, abzuklären, wie gefestigt wir in unserer eigenen Sprache und Kultur sind. Zu hinterfragen, ob wir als Volks- und Kulturgemeinschaft tatsächlich auf dem richtigen Weg sind.
Offen und sozial sein, global denken, christlich handeln und tolerant sein: ja!
Aber den enormen Anforderungen unserer Zeit gerecht zu werden, bedeutet auch, dass wir umso mehr gefestigt sein müssen in der eigenen Sprache und in der eigenen Kultur.
Und gerade das, liebe Anwesende, ist der Punkt, wo ich mir große Sorgen mache!
Bei uns in Südtirol, wo kaum jemand imstande ist, flüssig in einem guten Hochdeutsch zu sprechen, sich solche Dinge wie die Ausweitung des CLIL-Unterrichts zu leisten, das mag zwar sonst irgendwo im deutschen Sprachraum ein Experiment wert sein – bei uns in Südtirol ist es aber schlichtweg unverantwortlich. Gerade in Orten wie hier an der Sprachgrenze, in Leifers und in Bozen ist es besonders wichtig, dass die Kindergärten und die Schulen neben ihren pädagogischen Aufgaben auch ihren spracherzieherischen Pflichten gerecht werden und die deutsche Schriftsprache pflegen. Gerade hier, wo Lehrer und Kindergärtnerinnen jeden Tag großen Anforderungen gegenüber stehen, weil sie Kinder aus verschiedensten Ländern und Kulturen integrieren müssen, da dürfen die deutschen Bildungseinrichtungen nicht noch zusätzlich für Gratis-Sprachkurse missbraucht werden. Vergessen wir nie, dass Hochdeutsch für uns Südtiroler ja selbst schon eine Fremdsprache ist, die wir erst im Kindergarten und in der Schule erlernen müssen!
Wie sehr hat Josef Noldin darum gekämpft, dass unsere eigene Sprache und Kultur erhalten wird, und welche riesigen Opfer hat er dafür gebracht!
Ja was würden wir heute, verehrte Anwesende, einem Josef Noldin antworten, wenn er uns die Frage stellen würde, warum wir so verantwortungslos mit unserem kulturellen Erbe umgehen?
Warum wir nicht laut aufschreien angesichts der Tatsache, dass mittlerweile an der Universität Bozen 60 % der Vorlesungen auf Englisch gehalten werden, 30 % auf Italienisch und nur mehr sage und schreibe 10 % auf Deutsch!
Was antworten wir einem Josef Noldin auf die Frage, warum wir einmal in Gott mehr und mehr auf den Fachunterricht in unserer Muttersprache verzichten, der uns sogar mit Art. 19 gesetzlich garantiert worden ist?
Und warum wir nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt haben! Dass wir offensichtlich nicht imstande sind, auf uns umzulegen, was im Aostatal passiert ist, wo vor 60 Jahren der CLIL-Unterricht eingeführt wurde und wo in der Folge heute nur mehr 2 Prozent der Schüler Französisch als ihre Muttersprache bezeichnen. Ja sind wir noch zu retten?
Einen Gedanken, liebe Zuhörer, möchte ich Ihnen noch mitgeben.
Verwurzelt in unserer Kultur zu sein, bedeutet, einen sicheren Stand zu haben, den kalten Winden − aus welcher Richtung auch immer − standhalten zu können, einen Rastplatz für jene bieten zu können, die erschöpft sind. Aber dafür müssen wir etwas tun!
Auf einen Apfelbaum lassen sich, wie wir wissen, mehrere Sorten gleichzeitig aufpelzen. Aber wenn man den Baum nicht pflegt, wenn man die Wurzeln beschneidet oder sie verdorren lässt, dann bringen alle Experimente nichts. Dann geht der Baum ein und er wird herausgehackt, weil er nichts mehr wert ist.
Pflegen wir also mit größter Sorgfalt unsere Wurzeln. Denn das ist unser Kapital. Denn dann, liebe Zuhörer, halten wir allen Stürmen stand.