Bildungstag der Wintersteller Schützen

KITZBÜHEL – Am Sonntag, den 16. November 2014 hielt Mjr. Elmar Thaler, Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes vor Offizieren des Bataillons Wintersteller in Kitzbühel einen Vortrag zum Thema „Heimat“ aus der Sicht eines Südtiroler Schützen.

Nachfolgend der Vortrag von Mjr. Elmar Thaler

„heimat ist nicht da oder dort. heimat ist in dir drinnen, oder nirgends.“ (Hermann Hesse)

Herzlichen Dank für die Einladung, lieber Christian heute bei eurem Bildungstag ein paar Gedanken zum Begriff Heimat loswerden zu dürfen. Bei der Vorbereitung zu diesem Tag hab ich mich gefragt, warum wird den der Christian daran gedacht haben, einen Südtiroler Unterlandler einzuladen, den Nordtiroler Unterländer etwas zum Begriff Heimat zu sagen. Gibt es denn etwa Unterscheide zwischen der Heimat des einen, und der Heimat der anderen? Meint der eine im Süden denn etwas anderes wenn er Heimat sagt, als der im Norden?

Nun ja, um das zu analysieren, hab ich mich mal hinsetzen und nachdenken und aufschreiben müssen, was Heimat den eigentlich für mich bedeutet.

Da fällt mir beim Nachdenken doch tatsächlich auf, dass es dieses Wort Heimat nicht in jeder Sprache gibt.

Im Deutschen ist es ein eigener Begriff, ja vielleicht im englischen wenn ich Homeland sage etwas ähnliches, im ungarischen szülők föld, wo es übersetzt Elternerde heißt, ist es schon nicht mehr so ganz mit dem deutschen Begriff Heimat zu vergleichen, im französischen gibt es den Begriff kaum, und im italienischen – da hab ich von all den Sprachen am meisten Einblick – ist der Begriff Heimat gar nicht erst vorhanden.

Sonderbar, es gibt also Sprachen in Europa – die meisten Sprachen – die keinen Begriff haben, der das umschreibt, was wir mit Heimat meinen. Für einen Tiroler wohl unvorstellbar. Wenn ein jeder von uns nun die Augen schließt, in seinem Gedächtnis  die Bilder ablaufen lässt, die ihm einfallen, wenn wir an Heimat denken, dann ist es wohl vollkommen unverständlich, dass wird diese Bilder jemanden anderen in einer anderen Sprache nicht in einem einzigen Begriff beschreiben können.

Wo ist Heimat? Gibt es einen Unterschied zwischen zu Hause und daheim? Kann man Heimat überhaupt verorten? Gibt es nur eine Heimat oder kann man auch mehrere Heimaten haben?

Jetzt hab ich mir gedacht, schauen wir mal, wo der Begriff überall vorkommt. Beim Eigenheim, beim heimisch werden, Heimaterde, Heimatforscher, heimatlos, Heimatfilm, Heimatabend  Heimatlied, bei der Heimsuchung, bei den Heimatfernen, ja beim Heimweh – hoppla spätestens bei den letzten zwei Begriffen wurde mir klar, dass Heimat bei den Südtirolern schon eine besondere Bedeutung hat, und Heimat insgesamt etwas sehr intimes sein muss.

Der Blick zurück in der Vergangenheit hilft uns wie so oft auch hier die Gegenwart besser zu erklären. Und wir werden gleich sehen, wie wichtig hier der Begriff Heimat besonders im südlichen Landesteil im letzten Jahrhundert war.

Doch der Reihe nach. Bis vor 100 Jahren war Tirol im Ganzen von Kufstein bis zum Gardasee eins. Ab Kronmetz, oder Mezzocorona abwärts etwa war es italienischsprachig, in einigen Seitentälern vom Brenner südwärts ladinischsprachig. Im Großen und Ganzen fühlten sich alle drei Sprachgruppen heimisch. Das Verhältnis zwischen deutscher und italienscher Sprachgruppe war lt. Volkszählung von 1910 im ganz großen alten Tirol etwa 56 deutsch zu 44 % italienisch. Europa stand aber im Umbruch, es war dies die Zeit des aufkommenden Nationalismus, der zum Ausgang des 18. Jahrhunderts seinen Anfang genommen hatte und in den beiden Weltkriegen seinen traurigen Höhepunkt erreicht hatte.

Die Tiroler – viele von ihnen waren 1914 im Osten Europas im Einsatz um das Kaiserreich zu verteidigen – wohlgemerkt das Kaiserreich, nicht die Heimat – sollten bald eine schwere Bewährungsprobe mitmachen müssen – die heimatlichen Berge sollten sie verteidigen müssen, als ihr unmittelbares Umfeld, gegen jemanden der eben die Heimat bedrohte, und das war Italien.

Zu dieser Heimatverteidigung an die Front mussten junge und alte, nicht wehrfähige Männer. Zu Hause an der Heimatfront, waren Frauen und Kinder, die nun Männerarbeit leisten mussten – weil eben kaum noch Männer da waren.

Der Krieg ging verloren, nicht in den heimatlichen Bergen. Nicht etwa, dass die Not in der k. u. k. Armee größer war als in der italienischen – auch die hätte den Krieg nicht mehr lange durchgehalten – aber viele der in der k. u. k. Armee dienenden Truppen  des Vielvölkerstaates drängten nach den Aufständen in Wien, dem Abdanken des Kaisers in ihrer Heimat, die Polen, Tschechen, die Ungarn, alle drängten sie  heimwärts – und ist es euch aufgefallen? So oft ich nun in den letzten Sätzen das Wort Heimat erwähnt habe – es gäbe kaum ein anderes Wort, das die Ereignisse und die Zusammenhänge von damals besser beschreiben hätte können.

Und wieder zurück zur Geschichte: Durch den verlorenen Krieg traf unser Heimat ein katastrophales Los. Sie wurde geteilt. Die Heimat wurde geteilt. In fünf Teile. Der größte war Nordtirol, der zweitgrößte Südtirol, fast gleichgroß das frühere Welschtirol, nunmehr Trentino genannt, Osttirol und das Gericht Anpezzo Hayden mit Buchenstein waren der  fünfte Teil. Nun kam es knüppeldick. Mit der Machtergreifung Mussolinis in Rom 1922 begann in Südtirol eine massive Italienisierungspolitik. Die deutsche Sprache in öffentlichen Ämtern wurde verboten, deutsche Ortsnamen wurden verboten, deutsche Personen und Familiennamen wurden italienisiert, deutschsprachige Familienväter bekamen keine öffentliche Stellen mehr, die deutsche Schule wurde verboten – kurzum, die Menschen in Südtirol sollten entheimatet werden.

Heimlich – auch hier kommt es vor, das Wort Heimat – heimlich im Untergrund, in sogenannten Katakombenschulen fand man sich zusammen, um den Kindern die deutsche Sprache zu lehren. Auf abgelegen Almen pflegte man das Volkslied, dort entstand auch das Südtiroler Heimatlied, das heute unter dem Namen „Wohl ist die Welt so groß und Weit“ bekannt ist.

Als wär nicht schon Unglück genug, kam vor 75 Jahren der nächste große Aderlass. Hitler und Mussolini verständigten sich darauf, das Südtirolproblem endgültig zu lösen. Die Deutschen Elemente in Südtirol – so wurden sie in der italienischen Diktion genannt, sollten umgesiedelt werden, in noch zu erobernde Gebiete im Osten und dort eine neue Heimat finden. Innerhalb 10 Wochen hatten sie sich zu entscheiden, ob sie für das Deutsche Reich optieren wollten oder sich für Italien entscheiden und somit nach Süditalien verpflanzt werden wollten. So lautete die Propaganda. Aufgrund der über 20 Jahre bereits andauernden Italienisierung und Drangsalisierung entschied sich die Übergroße Mehrheit dafür, die Heimat zu verlassen und im Norden eine neue zu finden.  Beide, die Geher und Bleiber hatten ein Gedicht, in dem wiederum das Wort Heimat eine zentrale Rolle einnahm. Das Gedicht der Geher lautete:

So reißet vom sonnigen Erker
Die letzte brennende Lieb;
Die Treue zu Deutschland war stärker,
Das heiligste, was uns blieb.

Wir nehmen sie mit im Herzen,
Für andere dereinst Symbol;
Sie stille des Heimweh Schmerzen:
Leb wohl, du mein Südtirol!

Die Dableiber machten mit folgendem Gedicht Werbung fürs Dableiben: in  ihm spielt wiederum die Heimat eine zentral Rolle, es wäre wohl durch kein anderes Wort so aussagekräftig zu ersetzen. Das Gedicht geht so:

Am Erker blühet wie immer
Die leuchtende „Brennende Lieb“
Die Treue zur Heimat war stärker,
Wie jauchzen wir, dass sie uns blieb.

O blühe und leuchte Du Blume –
Ein Zeichen der Treue Du bist!
Und künde, dass Glaube und Heimat
Das Höchste für uns ist.

Obwohl sich rund 85 % für die Deutschland-Option entschieden hatten, wanderten bis zur Annexion Südtirols im September 1943 nur 75.000 Südtiroler tatsächlich ins Deutsche Reich aus.

Sofort wurden viele von ihnen in die deutsche Wehrmacht einberufen, viele von ihnen starben fern der Heimat auf den Schlachtfeldern Europas und Afrikas, einige Ältere von ihnen aber auch an gebrochenem Herzen und an Heimweh.

Wie auch immer, die Wirren des Krieges hatten die Abwanderung gestoppt. Aber auch als der Zweite Weltkrieg zu Ende war, scheiterten die Rückgliederungsversuche an Österreich.

War auch der Faschismus in Südtirol überwunden, die Machthaber waren dieselben geblieben. Die fast ausnahmslos italienischen Beamten hatten nun zwar das Schwarzhemd ausgezogen, aber an ihrer Einstellung hatte sich nichts geändert. Mit unvermindertem Fleiß versuchte man Italiener aus Süditalien nach Südtirol zu verpflanzen, und setzte alles daran, dass die Südtiroler in der eigenen Heimat zahlenmäßig in der Minderheit kommen.

Alle Zusicherungen und Verträge halfen nichts, die Südtiroler Jugend fand keine Arbeit mehr im eigenen Land, und viele von Ihnen sind in der 1950 Jahren nach Österreich und Deutschland ausgewandert, um dort als Gastarbeiter, so nannte man Migranten damals, ein Auskommen zu finden.

Weil internationale Verhandlungen zwischen Österreich und Italien nichts fruchteten, griffen beherzte Männer also vor 50 Jahren zu unkonventionellen Mitteln und versuchten durch Sprengstoffanschläge auf das Unrecht in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Hochspannungsleitungen flogen in die Luft – und unter den Augen der Weltöffentlichkeit bewegte sich schließlich doch etwas. Viele von diesen Aktivisten wurden damals eingesperrt, gar einige von ihnen sollten ihr Heimathaus, ihre Familie nie wieder sehen, weil sie an den Folgen schwerer Folterungen, die sie im Gefängnis erdulden mussten,  starben.

Die Jahre danach brachten viele politische Verhandlungen, noch mehr Kompromisse, und soweit Frieden, als dass es heute wenigsten keine Gewalt mehr braucht, um auf die Bedürfnisse und das Unrecht aufmerksam zu machen, dass unserer Heimat, dass Tirol durch die Teilung widerfahren ist.

Unglaublich, wie oft also dieser Begriff Heimat vorkommt, wenn ich von den letzten 100 Jahren und eines Teiles unserer Geschichte spreche. Fällt es euch auf? Mit keinem anderen Wort als Heimat könnte ich das beschreiben, was ich in den jeweiligen Passagen ausdrücken möchte.

Und dieser Teil der Geschichte meiner Heimat fällt mir immer wieder ein und ist mit Grund, warum ich bei den Schützen bin. Der mich anspornt, mich für die Heimat einzusetzen und besser zu machen, was in der Vergangenheit offenbar nicht machbar war.

Es gibt aber freilich auch noch einen anderen Teil, der für mich Heimat bedeutet. Heimat kann sich nicht nur in Vergangenheit, Geschichte oder Tradition abspielen.  Heimat spielt auch in der Gegenwart, im Jetzt. Es ist jener Teil der für mich ganz persönlich und ganz besonders wieder fühlbar ist, wenn ich irgendwo aus einem fremden Land, von einer Geschäftsreise oder vom Urlaub zurückkomme und, obwohl ich Fremdsprachen nicht ungern mag, endlich wieder in meiner Mundart sprechen kann. Dieses Gefühl wächst, wenn die Berge näher kommen, Orte mit vertrauten Namen näher kommen, wenn ich mein Dorf sehe, meine Einfahrt, die Nachbarhäuser, die Haustür hinter mir ins Schloss fällt und ich mich auf der Küchenbank niedersetze. Da ist man dann daheim – nicht nur zu Hause, und das ist dann Heimat. Mit den Menschen, die dazugehören, die einen umgeben, die Familie, dem Nachbarn, ganz egal ob man ihn mag oder nicht, dem Briefträger, der Frau an der Kasse im Supermarkt. Und dem Pfarrer in der Kirche und dem Friedhof, wo Oma und Opa liegen, und all die anderen Angehörigen, die Heimat wohl ganz ähnlich verspürt haben. Das ist Heimat.

Heimat besteht aber neben Geschichte, Vergangenheit und Gegenwart auch noch aus einem dritten Teil. Der spielt in der Zukunft. Gedanklich zumindest.

Es ist die Sorge um die Heimat. Werden wir im Stande sein, die Heimat unseren Kindern und Nachfahren halbwegs unversehrt weiterzugeben. Werden wir  imstande sein, unsere Bauwut so weit im Zaum zu halten, dass jene Natur,  jener Bergblick der uns ja auch Heimat ist wenigstens halbwegs erhalten bleibt? Imstande sein, nicht alles dem Profit unterzuordnen, nicht aus unseren Tiroler Bräuchen, aus unserer Tracht ein Walt Disney zu machen? Authentisch zu bleiben. Und werden wir im Stande sein, in irgendeiner möglichst zukunftsorientierten aber gleichzeitig auch konkreten Form das wieder herzustellen, was den Tirolern vor hundert Jahren noch ohne Grenzen ihre Heimat war? Nämlich das eine ganze, große, alte Tirol. Wo jeder, von Kufstein bis Ala, zusammen an einen Strang gezogen hat, ganz egal, welche Sprache er gesprochen hat.

Das alles, um auf den Titel meines Referates zurückzukommen, kann einen Südtiroler Schützen beschäftigen, wenn er an Heimat denkt. Oberflächlich gesagt ist Heimat ist also ein Ort und doch kein Ort, Heimat ist vielleicht da, wo man begraben werden möchte, sicher – aber letztendlich ist Heimat dann doch nicht da oder dort. Heimat ist in dir drinnen, oder nirgends. Heimat ist ein Gefühl.

Gedanken zum Thema Heimat
von Elmar Thaler
Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes

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