ST. PAULS – Bereits zum 50. Mal jährte sich heuer der Todestag des großen Tiroler Freiheitskämpfers Sepp Kerschbaumer. Kerschbaumer war der charismatische Gründer und Leiter des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS). Diese Untergrundorganisation, der Tiroler aus beiden Landesteilen, aber auch andere Österreicher angehörten, widersetzte sich – vornehmlich mittels Anschlägen auf italienische Einrichtungen – seit Mitte der 1950er Jahre der auch vom demokratischen Italien nach Ende des Zweiten Weltkriegs mehr oder weniger bruchlos fortgesetzten Politik der entdeutschenden Italianità zwischen Brenner und Salurner Klause. An den Folgen schwerer Misshandlungen durch italienische Carabinieri starb Kerschbaumer am 7. Dezember 1964 im Gefängnis von Verona. Seiner, aber auch seiner Mitstreiter Luis Amplatz, Franz Höfler, Toni Gostner, Kurt Welser und Jörg Klotz wird bereits seit Jahrzehnten am 8. Dezember bei einer großen Gedenkfeier in St. Pauls gedacht.
Heuer waren an die 2.000 Teilnehmer, davon etwa 1.500 Schützen und Marketenderinnen, der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Schützenbundes und des Südtiroler Heimatbundes gefolgt, um bei dieser Gedenkfeier ihren Respekt, ihre Achtung sowie ihren Dank an jene Männer auszudrücken, die für die Freiheit der Heimat ihr Leben lassen mussten.
Das Vaterland Österreich war durch den Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat Werner Neubauer vertreten. Aus der hiesigen Politik waren die Abgeordneten zum Südtiroler Landtag Martha Stocker, Tamara Oberhofer, Pius Leitner, Sigmar Stocker, Bernhard Zimmerhofer, Sven Knoll und Myriam Atz-Tammerle gekommen. Auch der Eppaner Bürgermeister Wilfried Trettl war anwesend.
Nach der Frontabschreitung in der Paulsnerstraße durch LKdt. Elmar Thaler (SSB), Roland Lang (SHB), Mjr. Christian Meischl (BTSK), LKdt. Paolo Dalprà (WTSB) erfolgte der Abmarsch und der Einzug in die Pfarrkirche von St. Pauls. Dort zelebrierte Pater Reinald Romaner OFM die heilige Messe in Gedenken an all jene, die für die Freiheit der Heimat ihr Leben lassen mussten. Pater Romaner sagte, dass der Verstorbenen zu gedenken auch Heimatpflege sei. Tugenden wie Aufrichtigkeit, Standhaftigkeit und Ehrlichkeit seihen Tugenden die zur Heimatliebe dazugehören.
Der zweite Teil der Gedenkfeier fand anschließend im Paulsner Friedhof statt. Eingangs begrüßte dort Roland Lang, der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, alle Anwesenden und wies auf die friedliche Abstimmung in Schottland hin. Auch Italien müsse Süd-Tirol dieses Recht zugestehen.
Es folgte die Gedenkrede von Heinrich Oberleiter, einem ehemaligen Weggefährten von Sepp Kerschbaumer, der selbst an den Anschlägen in den 1960er beteiligt war. Da es bis heute Haftbefehle der italienischen Justiz gegen Oberleiter gibt, kann er – 50 Jahre nach den Anschlägen –immer noch nicht in seine geliebte Heimat einreisen. Die Rede musste deshalb von Benjamin Rauchenbichler, einem jungen Schützenkameraden der SK Steinhaus im Ahrntal verlesen werden.
Im Alter von nur 20 Jahren schloss sich Heinrich Oberleiter dem Süd-Tiroler Freiheitskampf gegen die Willkür des italienischen Staates an. Er wurde bekannt als einer der „Pusterer Buam“. In fragwürdigen Schauprozessen, an denen der italienische Staat bis heute unnachgiebig festhält, wurde er zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Zunächst erzählte Oberleiter von seiner spektakuläre Flucht ins Vaterland Österreich im Dezember 1963. „Wer hätte damals gedacht, dass diese Flucht womöglich ein endgültiger Abschied von meiner Heimat werden sollte?! Und wer konnte damals schon ahnen, mit welch unglaublichen persönlichen Opfern dieser Freiheitskampf letztendlich verbunden sein würde?“, so Oberleiter.
Im Gegensatz zu Untergrundkämpfern wie den Brigate Rosse oder zur RAF ging es den Süd-Tiroler Freiheitskämpfern nie darum, die Rechtsstaatlichkeit anzugreifen. Man lasse sich auch heute nicht in rechts oder links einordnen, denn man habe damals einzig und allein für die Heimat gekämpft. „Es ging um Tirol.“ Oberleiter schloss seine patriotische Rede mit einem klaren Auftrag an alle Anwesenden: „Jetzt müsst ihr die Zukunft unserer Heimat Süd-Tirol in die Hand nehmen! Heute braucht es natürlich keine Gewaltanschläge mehr, um unserem Ziel näherzukommen. Heute habt ihr andere Möglichkeiten und Chancen. Aber tun müsst ihr etwas! Lasst euch nicht einlullen vom Wohlstand! Ruht euch nicht aus auf dem, was Süd-Tirol bisher erreicht hat! Jetzt seid ihr dran! Jetzt müsst ihr für die Freiheit kämpfen! Jetzt müsst ihr euch für die Einheit Tirols einsetzen!“
Es folgten die Schlussworte des Landeskommandanten Elmar Thaler. Dieser verwies darauf, dass so lange man zu Italien gehöre, auch mit Italien untergehen werde. Da helfe auch keine Autonomie und auch keine Europaregion Tirol, die man in Brüssel nicht ernst nehme. „Wir sind die Stimme jener, die vor uns für die Heimat eingestanden sind, für sie gelitten haben und für sie gestorben sind. Tun wir also alles dafür, dass 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg, mit friedlichen Mitteln wieder zurechtgerückt wird, was italienische Habgier damals heraufbeschworen hat und mehr als einer Million Menschen im Krieg und leider auch einigen im Freiheitskampf der 1960er Jahre – auf beiden Seiten – das Leben gekostet hat“, sagte Thaler.
Musikalisch umrahmt wurde die gesamte Feier von der MusikkapelleFrangart. Die Ehrensalve feuerte die Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan ab. Zur Kranzniederlegung erklang die Weise des „Guten Kameraden“.
Abgeschlossen wurde die würdige Gedenkfeier traditionsgemäß mit der Tiroler Landes- und der Österreichischen Bundeshymne.
Video der Gedenkrede von Heinrich Oberleiter
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Gedenkrede von Heinrich Oberleiter
Liebe Freunde, liebe Tiroler Landleute!
Ich erinnere mich genau an diese Nacht, die mein Leben veränderte. Es war der 1. Dezember 1963.
Nie im Leben hatte ich eine solche Nacht erlebt: Der Vollmond war aufgegangen, alle Bäume und Büsche glänzten im Raureif. Es war taghell – und sehr still. Nur der Schnee knirschte unter unseren Schuhen. Wir kamen gut vorwärts. Konnten wir uns einen würdigeren und schöneren Abschied aus der Heimat vorstellen? Und wie lange würde es dauern, bis wir in unser Tal wieder zurückkehren konnten? Was würde uns in der Fremde erwarten? Wer würde unsere politische Arbeit fortsetzen?
Mit mir damals Rosa Ebner aus Mühlen. Sie hatte nicht nur für uns Freiheitskämpfer Spenden gesammelt, sondern auch fleißig Leserbriefe gegen die Folter geschrieben. Dafür saß sie zwei Mal im Gefängnis.
Auf meiner Flucht wurde mir wieder einmal bewusst, wie schön unser Flecken Heimat ist und wie sehr es sich lohnte, dafür zu kämpfen.
Aber plötzlich hörten wir Motorengeräusche. Ein Jeep war hinter uns her! Und schlagartig wurde uns bewusst, in welcher Gefahr wir uns noch immer befanden!
Wir hatten keine Deckung mehr! Ein Davonlaufen oder ein Verstecken war hier unmöglich! Die Finanzer schossen zum zweiten Mal auf uns – aus nächster Nähe! Unsere Verfolger holten uns schnell ein. 1000 Gedanken schossen mir durch den Kopf! War jetzt alles vorbei? War das nächste die Folter, um alles aus uns herauszupressen, was wir wussten?! Und damit auch Namen unserer Mitkämpfer und unsere Kampftaktik … Ich würde nicht standhalten können – zu brutal waren ihre Methoden…!
Meine endgültige Flucht sollte dann erst am 6. Dezember 1963 gelingen. Ich hatte durch unglaubliches Glück aus dem Carabinieriauto flüchten können, weil dieses einen kleinen Unfall hatte. Aber wer hätte damals gedacht, dass diese Flucht womöglich ein endgültiger Abschied von meiner Heimat werden sollte?! Und wer konnte damals schon ahnen, mit welch unglaublichen persönlichen Opfern dieser Freiheitskampf letztendlich verbunden sein würde?!
Im Gegensatz zu Untergrundkämpfern wie den Brigate Rosse oder zur RAF ging es uns Südtiroler Freiheitskämpfern nie darum, die Rechtsstaatlichkeit anzugreifen. Wir lassen uns auch heute nicht in rechts oder links einordnen, denn wir haben einzig und allein für unsere Heimat und für unsere Zukunft gekämpft! Es ging uns um die Würde und die Rechte unserer Volksgruppe, um die Würde des Menschen, und um die Zukunft unserer Heimat. Es ging uns einfach um Tirol.
Meine lieben Freunde! Liebe Landsleute!
Aus der Ferne verfolge ich mit großem Interesse, was in Südtirol passiert.
Es erfüllt mich mit Stolz, wenn ich beobachte, wie sich meine Heimat in den letzten 50 Jahren entwickelt hat. Von vielen Rechten und Möglichkeiten, die ihr heute habt, haben wir damals nur träumen können! Vor allem aber freue ich mich über die Begeisterung, mit der sich heute so viele junge Leute für eine bessere Zukunft Südtirols – für eine Zukunft ohne Rom − einsetzen. Das erfüllt mich mit großer Hoffnung!
Aber es gibt auch immer noch vieles, das mir zu denken gibt und was mir das Herz schwer macht. Nie hätte ich gedacht, dass 50 Jahre nach meiner Flucht immer noch nicht die faschistischen Ortsnamen abgeschafft sind und dass immer noch faschistische Denkmäler herumstehen.
Vor allem aber ist es für mich auch schwer zu verstehen, wieso die Südtiroler Regierung immer noch ein Bremsblock für viele zukunftsweisende Ideen ist – und das, obwohl Landeshauptmann Kompatscher erst Anfang dieser Woche im „L’Espresso“ erklärt hat, er sei ein Angehöriger der österreichischen Minderheit? Aber auch die Makroregion Alpen mit sieben Staaten, die kürzlich vorgestellt wurde, kann doch keine brauchbare Lösung für Südtirol sein!
Als vor ein paar Jahren das Buch über mein Leben erschienen ist, habe ich ihm einen Titel gegeben, der auch immer mein Lebensmotto war: „Es gibt immer einen Weg!“ Diese Überzeugung hat mich ein Leben lang geleitet und mir immer wieder gezeigt, dass es immer einen Lichtblick gibt, einen Ausweg, einen Weg nach vorne.
Und diesem Buch habe ich einen Gedanken vorangestellt, den ich euch ebenfalls heute mitgeben möchte. Ich habe da geschrieben:
Es lohnt sich,
für eine Sache zu kämpfen,
die man mit gutem Recht
und mit Überzeugung vertreten kann.
Ich habe zwar dadurch meine
reale Heimat verloren, aber im Kopf
und im Herzen war und ist sie immer da.
Wichtig ist, dass das Geschehene
nie vergessen wird, sonst nehmen wir
das Erreichte als selbstverständlich hin,
und das ist gefährlich.
Wir Freiheitskämpfer haben für nichts als für die Freiheit Südtirols gekämpft. Wir haben alles gegeben! Wir haben so große Opfer gebracht! Wir haben auf so vieles verzichtet − auf ein angenehmes Leben, auf Sicherheit, auf Freiheit und auf Ruhe – vor allem aber auf eine Rückkehr in die Heimat!
Ich habe gekämpft, und daher darf ich noch heute, so viele Jahrzehnte später, nicht meine Heimat betreten.
Deshalb appelliere ich an euch Jüngere: Jetzt müsst ihr die Zukunft unserer Heimat Südtirol in die Hand nehmen! Heute braucht es natürlich keine Gewaltanschläge mehr, um unserem Ziel näherzukommen. Heute habt ihr andere Möglichkeiten und Chancen. Aber tun müsst ihr etwas! Lasst euch nicht einlullen vom Wohlstand! Ruht euch nicht aus auf dem, was Südtirol bisher erreicht hat! Jetzt seid ihr dran! Jetzt müsst ihr für die Freiheit kämpfen! Jetzt müsst ihr euch für die Einheit Tirols einsetzen! Das ist mein Auftrag an euch!
Alles für Tirol!
Euer Heinrich Oberleiter
Schluss- und Dankesworte von Elmar Thaler
Wir sind heute die Stimme, jener, die keine Stimme mehr haben. Weil sie hinter Kerkermauern ihr Leben lassen mussten bzw. nach und nach uns in die Ewigkeit vorausgehen. Wir sind auch die Stimme jener, die nicht mehr in ihre geliebte Heimat dürfen, weil sie seit Jahrzehnten im Exil leben müssen.
Was ist das für ein Staat, der vor alten Männern Angst hat. Bereits 1962 hat Luis Amplatz, nach dem Tod Gostners und Höflers in einem Leserbrief im Alto Adige gesagt – ich zitiere: „Sie reden hier von einem Wiederaufflammen des Terrorismus, weil 12 Terroristen noch nicht hinter Schloss und Riegel sind. Wissen Sie ganz genau, dass das alles Terroristen sind? Wenn ja, warum habt ihr dann so Angst? Seid ihr doch ein 50-Millionen-Volk und habt vor 12 Hänschen Angst?“ Zitat Ende. Um wieviel treffender sind diese Worte, heute über 50 Jahre danach.
Ich weiß um die vielfältigen Bemühungen Österreichs und die Interventionen unserer Politiker in dieser Angelegenheit. Und ich kann mich über die Hartherzigkeit des italienischen Staatspräsidenten nur wundern. Wenn er schon nicht weiß, was er für unsere Freiheitskämpfer tun kann, dann sollten wenigstens wir wissen, was zu tun ist.
Nämlich mit ganzer Kraft dafür einzustehen, dass das Fernziel der Freiheitskämpfer von damals endlich Wirklichkeit wird. Einzustehen dafür, dass wir nicht weiter ein Teil Italiens sind. Denn so lange wir zu Italien gehören, gibt es für unser Land keine Sicherheit. Weder kulturell, noch wirtschaftlich. So lange wir zu Italien gehören, werden wir, wenn‘s dann soweit ist, mit Italien untergehen. Da helfen uns keine Autonomie und auch keine Europaregion, die man in Brüssel eh nicht ernst zu nehmen scheint.
Bei seiner Antrittsrede sagte der Präsident der Europäischen Kommission Jean Claude Juncker in Strasbourg am 22. Oktober, nämlich wortwörtlich: „Staaten sind keine provisorische Einrichtung, keine provisorische Erfindung der Geschichte. Europa muss die Staaten respektieren. Europa kann man nicht gegen die Staaten aufbauen.“
In der fast einstündigen Rede viel kein einziges Mal der Begriff „Regionen“. Dennoch hat er zwei Mal eine absolute Mehrheit der Stimmen im EP bekommen. Daraus schließe ich, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen niemals soweit kommen wird, dass die Regionen an die Stelle der Nationalstaaten treten werden. Wir werden folglich Jahr für Jahr, Regierung für Regierung um unsere Rechte kämpfen müssen und diesen Kampf über kurz oder lang verlieren. Was alles aufgegeben werden musste von unserer Autonomie, wofür wir nun dauernd mitzahlen müssen, ja wie schlecht Verträge halten, die mit Italien abgeschlossen werden – das durften wir im letzten Jahr eindrücklich erleben. Und es wird nicht besser werden. Nirgendwo auf der Welt hat je eine winzige Minderheit dem Majorisierungsdruck eines ganzen Staatsvolks wiederstehen können.
Wir sind die Stimme jener, die vor uns für die Heimat eingestanden sind, für sie gelitten haben und für sie gestorben sind. Tun wir also alles dafür, dass 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg, mit friedlichen Mitteln wieder zurechtgerückt wird, was italienische Habgier damals heraufbeschworen hat und mehr als einer Million Menschen im Krieg und leider auch einigen im Freiheitskampf der 1960er Jahre – auf beiden Seiten – das Leben gekostet hat. Ehre Ihrem Andenken.