Lukas Varesco – 5. Bericht aus Schottland

Schottland, ein gespaltenes Land?

EDINBURGH – In weniger als einem Jahr wird Schottlands Bevölkerung frei und ohne Zwang über ihre Zukunft abstimmen. Es wird eine richtungsweisende Entscheidung sein und ganz Europa wird auf dieses „kleine“ Land im Norden Großbritanniens blicken. Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wie die Wahl ausgehen wird und welche konkreten Folgen diese für die Zukunft Schottlands, des Vereinigten Königreichs im Besonderen sowie Europas im Allgemeinen haben wird. Vor allem Minderheiten wie die Katalanen oder wir Südtiroler können auf den Ausgang des Referendums gespannt sein.

In diesem Zusammenhang ist es allerdings wichtig festzuhalten, dass nicht alles Gold ist, was zu glänzen scheint. Der Weg in die Unabhängigkeit ist steinig und voller Hindernisse und die einfache Frage „Should Scotland be an independent country?“ hat das Land in Befürworter und Gegner gespalten. Befürworter und Gegner haben sich klar organisiert und positioniert und stehen sich nun „kämpferisch“ gegenüber. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit und um die Bevölkerung zu überzeugen, werden in diesem Wahlkampf modernste Strategien und Methoden angewendet. Der Kampf um die Mehrheit ist zwar friedlich, wird aber hart geführt.

„Yes Scotland“ oder „bettertogether“?

„Yes Scotland“ und „bettertogether“ sind die beiden großangelegten Kampagnen, die ein unabhängiges Schottland zu verwirklichen bzw. zu verhindern versuchen. Die Kampagnen verstehen sich als überparteilich, wobei das jeweilige Ziel von verschiedenen Organisationen mitgetragen wird. Während die „Yes – Kampagne“ für ein unabhängiges und freies Schottland wirbt, glauben die Befürworter der „bettertogether – Kampagne“ es sei besser, am Status quo festzuhalten und sich auf keine unsicheren Experimente einzulassen.

Die derzeitige Situation erweckt fast den Eindruck, als versuche die „Yes – Kampagne“ mit Fakten und Statistiken zu überzeugen, während das Preisen der Stärke Großbritanniens und die Betonung dessen „Weltmachtstatus“ als die Strategie der „Unionists“ angesehen werden kann. Die „Yes – Kampagne“ appelliert an das schottische Selbstvertrauen und Identitätsbewusstsein. Die Unionisten betonen die möglichen unangenehmen Folgewirkungen eines unabhängigen Schottlands, sie warnen vor Experimenten mit der Zukunft. Damit erreichen sie vor allem die Skeptiker und all jene Menschen, die keine Änderungen wünschen, sich keine andere Zukunft vorstellen können oder wollen. Ihre Kampagne baut auf das Bedürfnis vieler Bürger nach Sicherheit  auf. Bei der Abstimmung geht es über die Unabhängigkeit hinaus um eine der Grundfragen des menschlichen Daseins: Freiheit oder Sicherheit? Es wird spannend, wofür sich die Mehrheit der Schotten entscheidet.

Die beiden Kampagnen scheinen sich auch im Aufbau und Organisation voneinander zu unterscheiden. „Bettertogether“ wendet eher eine Art „Top down“ – Verfahren an und folgt somit mehr einer hierarchischen Struktur. Entscheidungen werden von der verantwortlichen Spitze getroffen, der Basis kommuniziert und von dieser ausgeführt. „Yes Scotland“ basiert auf dem Zusammenspiel verschiedener, mehr oder weniger miteinander verbundener und zusammenarbeitender Gruppen.

„Yes Scotland“

„Yes Scotland“ beschreibt sich selbst als eine Allianz aus Scottish National Party, Scottish Green Party, Scottish Socialist Party und weiteren Gruppierungen und Personen, die  überzeugt sind, dass es besser sei, wenn Entscheidungen über Schottlands Zukunft von Personen getroffen würden, die sich am meisten um Schottland sorgen würden – und das seien die Menschen aus Schottland. Die Organisation wurde 2012 gegründet und setzt sich seither entschlossen für Schottlands Unabhängigkeit ein.

Im Laufe der Zeit wurden außerdem verschiedenste Unterorganisationen gegründet, die spezielle Interessensgruppen ansprechen sollen. Als ein Beispiel hierfür können die „Veterans for Independence“ genannt werden. Weitere wichtige und einflussreiche Kampagnen, die für die Unabhängigkeit Schottlands werben und mit der „Yes – Plattform“ zusammenarbeiten, sind die „Women for Independence“, das „Business for Scotland“ etc. Darüber hinaus arbeitet die „Yes – Kampagne“ auch mit „Labour for Independence“ zusammen, dessen Mitglieder zwar Anhänger der Labour Partei sind, jedoch nicht dessen „Fahrtrichtung“ teilen und gegen die offizielle Parteilinie handeln.

Interessensgemeinschaften (z.B. die „Christians for Independence“) und lokale, ortsgebundene Freiwilligengruppierungen (z.B. „Yes Edinburgh Central“) spielen eine entscheidende Rolle im Wahlkampf. Sie sind gut organisiert, verteilen Werbezettel und greifen vorzugsweise auf die Mund-zu-Mund-Werbung zurück. Des weiteren ist „Yes Scotland“ auch online sehr präsent. Die Kampagne versucht, mithilfe der Internetseite (www.yesscotland.net) und sozialer Medien wie Facebook oder Twitter die Wählerschaft zu erreichen. Man ist außerdem bemüht, bei vielen Events präsent zu sein, z.B. in Form von einem Messestand. Es werden eine Menge öffentlicher Versammlungen abgehalten und Anhänger klappern Haus für Haus und Tür um Tür ab, mit dem unerschütterlichen Willen, ein „Ja“ –  Votum zu erreichen.

Die Kampagne versteht sich als Basisorganisation und Freiwillige können sich ganz einfach einbringen und mitmachen.

In einem eigens angefertigten „Fact Sheet“ fasst „Yes Scotland“ klar und in einfachen Worten zusammen, welche Vorteile die Unabhängigkeit für Schottlands Bevölkerung bringen würde, ob Schottland sich die Unabhängigkeit überhaupt leisten könnte, ob Schottland wirtschaftlich überlebensfähig wäre, woher der Wohlstand kommen würde, wie die Beziehung zur EU und dem Rest des Vereinigten Königreichs aussehen würden, welche Währung verwendet werden würde usw. So erwähnt die Organisation beispielsweise, dass:

  • Schottland, gemessen am Wohlstand pro Kopf, eines der reichsten Länder der Welt sei.
  • Schottland der größte Ölproduzent der EU sei.
  • Schottland über weltweit äußerst bekannte und renommierte Universitäten verfüge.
  • Schottland große Potentiale im Bereich der erneuerbaren Energien  habe.
  • Schottland über unzählige gut funktionierende Industrien verfüge.
  • Schottland die Queen und den Pfund Sterling behalten würde.
  • Schottland EU – Mitglied bleiben würde und weiterhin mit dem Rest „Großbritanniens“ eng (u.a. wirtschaftlich) zusammenarbeiten und gute Beziehung pflegen würde.

Auf ihrer Webseite hat die Organisation eine Online – Deklaration für Schottlands Unabhängigkeit mit dem Ziel veröffentlicht, eine Million Unterschriften zu sammeln. Dieses Ziel ist aber noch nicht erreicht worden. Prominentester Unterstützer der Kampagne dürfte wohl der ehemalige James Bond 007 Darsteller Sir Sean Connery sein.

„bettertogether“

„Bettertogether“ beschreibt sich selbst als eine patriotische „all-party and no-party“ Kampagne für ein „Nein“ – Votum beim Referendum im nächsten Jahr und wirbt aktiv für ein „stronger Scotland, a United Kingdom“.

Es scheint, als versuche die Kampagne jeweiliger Diskussion um Patriotismus im Zusammenhang mit dem Streben nach Unabhängigkeit vorbeugen zu wollen. So weist die Bewegung entschieden und mehrmals daraufhin, stolz auf Schottland zu sein, das Land zu lieben und nur das beste für die eigenen Familien zu beabsichtigen. Man fühle sich schottisch, aber die meisten Schotten eben auch, zumindest ein wenig, britisch.

Die Organisation wurde ebenfalls 2012 gegründet, mit der Hilfe von Scottish Labour, Scottish Conservative Party und Scottish Liberal Democrats.

Um die Bürger zu erreichen und diese für ein „No“ zu gewinnen, wendet die Kampagne ähnliche Methoden und Praktiken an wie die Gegenseite. Ein offizieller und moderner Internetauftritt (www.bettertogether.net) darf dabei ebenso wenig fehlen wie die Benutzung von verschiedenen sozialen Medien. Eine entscheidende Rolle im Wahlkampf spielen aber weiterhin die klassischen Hausbesuche und das Verteilen von Flyern etc. Zu den wichtigsten Instrumenten, die verwendet werden, gehört die Telefonwerbung.

Die Organisation stellt gar nicht in Abrede, dass Schottland ein eigener und überlebensfähiger Staat sein könnte. Den Anhängern stellt sich aber die Frage, ob das gut für die Bürger sei und ob man sich damit denn nicht schlechter stelle.  Die Anhänger von „bettertogether“ glauben, dass es das Beste sei, wenn Schottland eine stolze Nation mit einem erfolgreichen und starken Parlament bleiben würde und gleichzeitig von der Sicherheit und den Möglichkeiten, die man als Teil von etwas Großem habe, profitieren würde. Ein „Ja“ – Votum würde in ihren Augen bedeuten, dass Schottland sich von Freunden verabschieden würde, mit denen man zusammen gekämpft und gearbeitet habe und mit denen viele  Schotten familiär verbunden seien. Die Platform erwähnt verschiedene Briten und ihre Taten, um ein Verständnis dafür zu schaffen, wie viel man zusammen erreicht und geschaffen habe. So seien beispielsweise die BBC und die „Bank of England“ jeweils von Schotten gegründet worden.

Als wesentliche Gründe für ein „better to gether“ listet die Platform folgende Punkte auf:

  • Wohlstand; in diesem Zusammenhang wird die weltweite Krise erwähnt und dass Instabilität, Unsicherheit und zusätzliche Barrieren fürs Geschäft nun fehl am Platz seien. Außerdem sei der Rest von UK der größte Markt für Schottland, das Pfund Sterling würde Sicherheit garantieren und eine Zusammenarbeit sei sinnvoll und angebracht, um am globalen Markt bestehen zu können.
  • Sicherheit; in Bezug auf die Sicherheit werden die vielen Gefahren genannt, welche in der heutigen Welt lauern und dass die „British Armed Forces“  diesbezüglich Schottland gut beschützen können. Zusätzlich kann man als Union auf ein gewichtiges Wort im UN-Sicherheitsrat, in der Nato und der EU bauen.
  • wechselseitige Abhängigkeiten; „(…) the coming together of family, friends, ideas, institutions and identities – is a strength not a weakness (…).“

Als prominente Unterstützer der Kampagne werden Sir Alex Ferguson und auch Andy Murray genannt.

Bericht, Lukas Varesco, Schottland
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