Der Ruf nach Freiheit von Perth
SNP „Annual National Conference“
„Mut machen“ – feurige Rede des charismatischen First Ministers in Perth
EDINBURGH/PERTH – 19. Oktober 2013 – jährliche, nationale Konferenz der Scottish National Party. Ich befinde mich im prall gefüllten Saal der „Perth Concert Hall“. Anhänger und Mitstreiter der SNP drängen um die letzten Sitzplätze. Manche von ihnen harren bereits Stunden vor dem offiziellen Einlass gespannt und ungeduldig vor verschlossenen Türen aus. Doch langsam wird es ruhig. Es ist kurz vor 15 Uhr. Medien aus aller Welt sind vor Ort und tüfteln noch rasch und hektisch an ihren Kameras herum. Alle warten gespannt auf einen Mann, Alex Salmond, den First Minister. Es geht nämlich um so viel. Es geht um Schottlands Zukunft. Es geht um die Verwirklichung des „Gründungsauftrages“ der SNP. Das ganze Wochenende steht im Zeichen des Mut machens, des nicht Aufgebens. Die aktuellen Statistiken zum Ausgang des Referendums sind aus Sicht der Unabhängigkeitsbefürworter nicht gerade berauschend, um es milde auszudrücken. Schottlands Bevölkerung ist zögerlich und wenn man genauer nachfragt, kann man in der Parteibasis sowie in Teilen der Yes-Kampagne ein wenig Ungeduld ausmachen. Die Konferenz soll jedoch wieder Auftrieb und Schwung in die Sache bringen. Bereits am Morgen des 19. Oktober rief ein Redner aus Wales die Anwesenden im Saal mit den Worten: „Go out and make history! Wales will be with you all the way!“ auf, am Ziel der Freiheit festzuhalten und sich vom Weg nicht abbringen zu lassen. Doch nun ist es endlich soweit. Der Moment, auf den alle gewartet haben, ist da. Nicola Sturgeon, stellvertretende First Ministerin von Schottland, ruft Alex Salmond in den Saal. Auf ihm, den äußerst charismatischen Parteichef und First Minister von Schottland, liegen alle Hoffnungen. Der First Minister beginnt seine Rede mit den Worten:
„Delegates, we are entering a new chapter in our nation’s history. In less than one year’s time the people of Scotland will have the opportunity of a generation. That opportunity on September the 18th 2014 is this: (…) TO BECOME AN INDEPENDENT COUNTRY.“
Er erinnert die Delegierten daran, dass jetzt der Moment gekommen sei, auf den sie ihr ganzes Leben hingearbeitet haben und betont, dass ein „JA“ – Votum nicht als Erfolg der SNP oder der YES-Kampagne gesehen werden dürfe, sondern ein Ausdruck des nationalen Selbstvertrauens sei. Der First Minister ist überzeugt, dass je besser die schottische Bevölkerung informiert werde, desto eher werde diese für die Unabhängigkeit stimmen. „Why? Because when people hear the CAN-DO optimism of the Yes campaign up against the CAN’T DO dirge of the No campaign then they choose Yes!„
Für die Menschen in Schottland geht es um eine richtungsweisende Entscheidung für die Zukunft und dabei spielt die eigene Existenz eine wesentliche Rolle. Dies ist auch dem First Minister bewusst. Er unterstreicht, dass die Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit zwar sehr hart geführt werde und aufreibend sei, doch könne man erfreulicher Weise sagen, dass man sich in der Frage, ob Schottland wirtschaftlich überlebensfähig sei, einig sei.
„Delegates, let’s resolve this over the next year: Let’s never ever allow any of the opponents of independence diminish or talk down the prospects of this country or the abilities of our people! (…) No-one really doubts that Scotland could be independent. This debate is about whether Scotland should be independent.“
Immer wieder wird die Rede von tosendem Applaus unterbrochen.
Der First Minister listet die verschiedensten Gründe auf, warum Schottland sich so schnell wie möglich vom Vereinigten Königreich verabschieden sollte. Es gehe um vergeudete Jahre, die Diskussion um Schottlands Öl- und Gasreserven, die nicht zufriedenstellende Interessensvertretung, Ungleichheit, usw. Er erinnert, dass Schottland die Möglichkeit habe, sich zu entscheiden und dass es einen anderen Weg gebe. „So there is a choice. A choice between two futures: Accept our status as an economic region of an unbalanced and unequal system. Or embrace the powers of a national economy.“ Im Saal kann man eine „Anti UK“ Stimmung förmlich fühlen. Der First Minister geht sogar noch weiter und fordert abermals David Cameron zu einer öffentlichen Debatte heraus: „Here’s the deal Prime Minister. We’ll publish the White Paper then you and I must debate. First Minister to Prime Minister. The choice is yours. Step up to the plate – or step out of this debate!“ Die Stimmung kocht über.
Die schottische Regierung beabsichtigt, das „White Paper on Independence“ am 26. November zu veröffentlichen. Dieses soll die Bürger über jene Plattform informieren, welche die Regierung einzusetzen gedenkt, um die Zeit zwischen dem Referendum und den ersten Wahlen im freien Staate Schottland im Jahr 2016 zu überbrücken. Zusätzlich soll es die Begründung und die Vision für ein unabhängiges Schottland aus Sicht der SNP/ Regierung enthalten.
Alex Salmond spart auch nicht mit Häme für die gegnerische Seite. Er bezichtigt die No-Kampagne der „Angstmacherei“ und als argumentlos. Der Labourpartei stellt er indirekt als prinzipienlos dar.
„Last month Labour’s UK Health spokesman, Andy Burnham, said he is opposed to independence because he doesn’t want to drive up the M6, get out his passport and start driving on the right when he comes to Scotland. Mind you, I thought Labour has been driving on the right for some time.“ Was folgte, war ein lautes Gelächter.
Die Labour Partei ist traditionsgemäß linksorientiert, hat aber einen Wandel durchlebt.
Weiters preist der First Minister die Arbeit des schottischen Parlaments in den vergangenen Jahren und wirft die Frage in den Raum:
„The central question of the coming referendum campaign is who should be taking decisions about Scotland – those who live and work here or Westminster politicians. (…) Friends, where we have the power we have chosen a different path. A path that reflects Scotland’s social democratic consensus, our shared progressive values – our priorities as a society. (…) An independent Scotland will have a Parliament with the full range of powers and the people will have a Government which is on their side.“
Der First Minister erklärt anhand von Beispielen, dass Schottland innerhalb seiner beschränkten Möglichkeiten viel bessere Politik im Vergleich zum Rest der Insel gemacht habe. Man solle sich dann mal vorstellen, was Schottland alles erreichen könnte, wäre es vollkommen unabhängig. Er verspricht auch Veränderungen wie beispielsweise die Rückführung der Royal Mail in die öffentliche Hand, sollte die SNP an der Regierung bleiben.
Es sind genau Worte wie diese, welche an jenem Nachmittag in Perth die Delegierten immer wieder zu mehr Zusammenhalt und Aufbruch aufrufen.
„People are starting to imagine a better life, better communities and a better country. We are truly privileged. Because in less than one year’s time we can stop imagining. And we can start building.“
Der First Minister schloss seine Rede mit den Worten:
„() It is our privilege in this generation to determine the next chapter of Scotland’s story. And when the pages of books yet unwritten speak to generations yet unborn of this time and this place, of our Scotland today, what is the story they will tell? They can say that we who lived at this special time recognised a priceless moment for what it was. That those who saw this chance did not baulk at it. That those who were given this moment did not let it pass by. And that we, Scotland’s independence generation, reached out and grasped the opportunity of a lifetime when it came our way.
We will NOT wake up on the morning of 19 September next year and think to ourselves what might have been. We WILL wake up on that morning filled with hope and expectation – ready to build a new nation both prosperous and just.
After almost a century of Scotland moving forward to this very moment – let us ask ourselves these simple questions:
If not us – then who?
If not now – then when?
Friends – we ARE Scotland’s independence generation.
And our time, our time is now.“
Minutenlanger Applaus folgte diesen Worten. Es lag wahrlich eine Aufbruchstimmung in der Luft. Menschen fielen sich in die Arme und brachen in Tränen aus. Ich habe so etwas vorher noch nie erlebt. Ich blickte in die Gesichter von Menschen, die mit hoffnungsvoll leuchtenden Augen der ergreifenden Rede des First Ministers lauschten. Alex Salmonds Worte beflügelten und der Ruf der Freiheit von Perth hallte hinaus in die Welt.Es herrschte eine ergreifende Atmosphäre. Langsam fragte ich mich, ob sie denn auch mich ergriffen habe? Habe ich denn der Rede des „Mannes der Unabhängigkeit“ gelauscht? Wird Alex Salmond zum Helmut Kohl Schottlands, ein Mann, der in die Geschichtsbücher eingehen wird?
Ich kann beruhigt sagen, dass es ein beeindruckender, ergreifender, mitreißender und fesselnder Nachmittag in Perth war. Optimismus machte sich breit und alle Anwesenden wurden in einen Bann gezogen und nichts schien mehr unmöglich zu sein. Doch die Frage, die sich stellt, ist, ob die SNP und ihre Partner und Anhänger über genügend Kraft verfügen, um diesen Ritt auf der Welle der Unabhängigkeit erfolgreich zu Ende führen zu können? Die Debatte über die Unabhängigkeit Schottlands wird nicht nur von der SNP geführt.