Edinburgh, 05.10.2013 – Ankunft 14 Uhr, mitteleuropäischer Zeit
Da fragt man mich noch, mit welch einem Gemütszustand ich nach Edinburgh reise?
Ist es Vorfreude? Der Drang, was zu erleben? Die Entschlossenheit, bei etwas Großem dabei zu sein? Um ehrlich zu sein, als allererstes hatte ich ein wenig ein mulmiges Gefühl, mich allein auf eine ferne und fremde Insel zu begeben, welche noch dazu klimatisch als ziemlich unwirtlich beschrieben wird. Was wird mich denn erwarten? Was werde ich lernen und erfahren? Wie kann ich mich einbringen?
Schritt für Schritt:
Am Flughafen angekommen, wagte ich mich ganz vorsichtig und mit kleinen Schritten langsam vorwärts. Die Sonne lachte vom Himmel und ich konnte alsbald eine erste schottische Fahne, hoch an einem Mast hängend, erspähen. Sie flatterte im Wind und hieß, zusammen mit einem „Welcome to Edinburgh“ Schild, die Besucher willkommen. Sonne und wehende Fahnen sind mir aus dem geliebten Tirol bekannt, ein gutes Omen also? Schnell noch eine SMS nach Hause: „Bin jatz dooo… A Tiroler Bua mit dr Leidernen im Gepaeck ganz allein in dr Fremm…“, so der Wortlaut meiner ersten SMS in die Heimat. Meine Lederhose musste natürlich mit, denn ohne diese gehe ich sowieso nur ungern irgendwo hin und wer weiß, vielleicht brauche ich sie ja noch… Nur ungern würde ich als Tiroler den Schotten und ihrem Kilt das Feld überlassen 🙂
Die ersten Tage vergingen wie im Flug. Da ich nicht ganz unvorbereitet, meine Arbeit antreten wollte, stand zunächst eine Stadtbesichtigung auf dem Programm. Also spulte ich nach und nach alle Sehenwürdigkeiten ab: Von Holyrood Palace über Calton Hill bis zu Edinburgh Castle. Natürlich musste auch sofort das Nationalgetränk ausprobiert werden, ein schottischer Single Malt Whiskey. Von den „Haggis“, dem schottischen Nationalgericht, hielt ich noch ein wenig Abstand, man soll nicht allzu sehr vorgreifen ;-). Beim Bier hingegen blieb ich weniger vorsichtig und versuchte gleich mal ein „Real Ale“, wobei mir das „Lager“ besser zu schmecken scheint. Nun konnte es losgehen!
Zur Sache:
Eines wurde mir auf meinen Besichtigungen und in den ersten Arbeitstagen sofort klar: Ich habe es hier mit einem Land zu tun, dessen Geschichte einen fesselt und welches sich in einem völligen Umbruch befindet, dessen Menschen und Befinden schwer zu entschlüsseln sind. Eine Vorhersage auf den Ausgang der Wahl am Tag X, an welchem die Bevölkerung Schottlands die einmalige Möglichkeit hat, selbst über die eigene Zukunft zu entscheiden, scheint schier unmöglich. Schottlands Vergangenheit ist äußerst komplex. Ich berichte hier von einem Land, das immer wieder für Freiheit gekämpft hat (wer hat den Film „Braveheart“ denn nicht gesehen?) und doch sogleich auch eine verwirrende, teils positive Beziehung zum Vereinigten Königreich aufweisen kann. So klärte mich etwa eine Touristenführerin über eine interessante Absurdität auf: Nachdem England so viel Blut hat fließen lassen, um den Thron Schottlands zu erobern, ist es ausgerechnet einem Schotten gelungen, den Thron Englands zu erklimmen, und dies ohne großes Blutvergießen. Es war dies James VI., der Sohn der äußerst bekannten Maria Stuart. Dieser durfte sich ab 1603 auch König James I. von England nennen und regierte die beiden Länder in Personalunion.
Die Diskussionen im Parlament, über welches Schottland seit 1999 wieder verfügt und das den ganzen Stolz der Schotten widerspiegelt, drehen sich immer wieder um das Thema Unabhängigkeit, egal worüber gesprochen wird. Es stehen sich hier, stark zusammengefasst, 2 Lager gegenüber. Die regierende SNP (Scottish National Party) auf der einen Seite und Labour und Conservatives auf der anderen. Während erstere das Referendum, welches im September 2014 – ein Jahr mit symbolischer Bedeutung – abgehalten wird, positiv vorantreibt, sind letztere für ein „bettertogether“ und möchten die Union mit England, Wales und Nordirland nicht aufgeben.
Es gilt festzuhalten, dass Schottland gewisse Zuständigkeiten besitzt (Landwirtschaft, Gesundheit usw.) und sich in einigen Bereichen selbst verwalten kann, ein großer Teil wichtiger Entscheidungen wird jedoch nach wie vor in Westminster getroffen und schottische Angelegenheiten werden weit von der Bevölkerung entfernt diskutiert. Insgesamt stellen schottische Abgeordnete in Westminster nur einen kleinen Teil der Abgeordneten, um die 60 von 650, und somit fallen deren Stimmen nicht so sehr ins Gewicht. Es kommt schon vor, dass das schottische Parlament, wie beispielsweise zur Privatisierung der Royal Mail, eine Willensbekundung abgibt, jedoch Westminster anders entscheidet. Ob das gut fürs Land ist? Es liegt in der Hand der Schotten, das zu beurteilen und sie haben die Möglichkeit dazu. Wir sprechen hier von einer historischen Chance!!!