WELSBERG – Am 13. April 2013 ist mit 75 Jahren der Freiheitskämpfer Franz Riegler verstorben. Sein Einsatz in jungen Jahren galt der Freiheit des südlichen Tirol. Franz Riegler war einer der ersten, welcher bereits vor der Feuernacht zu unkonventionellen Mitteln griff und die Weltöffentlichkeit durch das Sprengen von italienischen Besatzungssymbolen auf das Südtirol-Problem aufmerksam machte.
Riegler lebte zuletzt in Welsberg, nachdem er viele Jahre als Pächter der Haselburg in Bozen zu Hause gewesen war. Im Jahr 2010 trat er der Schützenkompanie „Johann Jaeger“ Niederdorf bei und wurde dort schon bald zum Ehrenmitglied ernannt.
In einem viel beachteten Vortrag in Niederdorf schilderte er im November 2011 seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse in und nach der legendären Feuernacht, an der er selbst aktiv beteiligt war. Er berichtete, warum es dazu gekommen war, und erzählte vom großen Glück, das er hatte, weil ihm die schrecklichen Folterungen erspart geblieben sind. Er war nämlich einer der letzten, die inhaftiert wurden, und so hatte es zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn mehr, die Taten zu bestreiten. Franz Riegler saß dreieinhalb Jahre im Gefängnis, musste aber nach dem Urteil des Appellationsgerichts seine Familie in Süd-Tirol zurücklassen und nach Österreich fliehen, weil er damals noch einmal acht Jahre Haft erhalten hatte.
Im Oktober 2011 hat Verena Messner für das Dorfblattl von Welsberg ein Interview mit Franz Riegler geführt. Das SSB – Online Team bringt seine Erinnerungen nochmals:
In den 50er Jahren war jeder in der bäuerlichen, deutschsprachigen Jugend Volksparteianhänger. Als es hieß, dass 2 Milliarden Lire für den Wohnbau ausgegeben werden, wusste man, dass diese Wohnungen Italiener bekommen würden, genauso wie die Arbeit in der Industriezone, wo acht-, neuntausend Italiener und nur eine Handvoll Deutsche beschäftigt wurden. Das war ein harter Schlag gegen die einheimische Bevölkerung und bald darauf kam es zur Kundgebung in Sigmundskron. Und bei dieser Kundgebung – so versteht es sich heute – entstand der Gedanke zur Gründung des BAS, des Befreiungsausschusses Südtirol. Man muss noch Einiges wissen: Selten geredet wird von den „Vilipendio-Prozessen“! Zu diesen Prozessen kam es, wenn jemand die Tiroler Fahne aushängte, oder wenn ein Schimpfwort auf die Italiener laut ausgesprochen wurde. Das wurde mit sechs Monaten Gefängnis bestraft. Bei der Buchvorstellung „Herz Jesu Feuer Nacht“ in Bruneck fragten die Autoren, warum die Bevölkerung nichts unternommen habe, als die Schmerzensschreie der Festgenommenen nach der Feuernacht bis außerhalb der Carabinierikaserne zu hören waren. Darauf fragte Franz Riegler, ob denn keiner je von den „Vilipendio-Prozessen“ gehört habe. Diese stellten die Leute ruhig. Der Druck von der Polizei war einfach zu groß. Oder am „Knüppelsonntag“ zum Beispiel: Als die Leute aus dem Bozner Dom heraus kamen – es war das Peter-Mair-Denkmal eingeweiht worden – da wurden die Leute mit Gummiknüppeln auseinandergetrieben. Das Volk war sehr eingeschüchtert. Dass der deutschen Bevölkerung die Arbeitsplätze vorenthalten wurden, hatte zur Folge, dass ungefähr 10.000 junge Südtiroler weg gingen zum Arbeiten nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Die Situation war eine ganz erdrückende, deswegen kam es am Ende zu den Anschlägen. Geplant waren an die 100 Anschläge, durchgeführt wurde dann knapp die Hälfte. Es hat zum Schluss an der Verständigung gefehlt. Weil die Angriffe geheim bleiben sollten, wurden erst zwei Tage vor den Aktionen Boten ausgesandt. Die haben es in der kurzen Zeit nicht geschafft, alle Kämpfer persönlich zu benachrichtigen. Einige werden vielleicht auch Angst bekommen haben: Wir waren ja nur wenig ausgebildet.
Hauptsächlich war die Umgebung von Meran und Bozen Ziel der Anschläge. Man wollte damit für Bozen und sogar für Norditalien die Stromzufuhr abstellen. Das gelang aber nur zum Teil, weil zwei Masten in Kardaun zwar gesprengt, aber nicht umgefallen waren. Die Österreicher waren mit einem Bus da, davon haben wir nichts gewusst. Wir wurden beliefert von draußen herein mit Sprengstoff und auch mit Waffen. Es hätte ja früher oder später zum Partisanenkrieg kommen sollen, Gott sei Dank war das nicht der Fall. Außer die Pusterer Buam, die haben ein bisschen Mist gemacht, ja, ein paar Schießereien hat es bei denen gegeben. Man weiß heute, dass man ihnen auch das eine und andere in die Schuhe geschoben hat: zum Beispiel in Mühlwald den Mord am Carabiniere Vittorio Tiralongo. Oder als 1967 auf der Porzescharte mehrere italienische Soldaten starben, die in ein Minenfeld hineingelaufen waren. Für diese Toten wurden auch die Freiheitskämpfer verantwortlich gemacht. Hier hat möglicherweise der italienische Geheimdienst das Minenfeld selbst eingerichtet. Vielleicht wollte man sogar auf diesem Weg die Freiheitskämpfer aus dem Weg räumen. Die Pusterer Buam haben lebenslänglich gekriegt.
Wir hatten zum Ziel, dass keine Menschen zu Schaden kommen dürfen. Aber am Morgen der Feuernacht gab es den ersten Toten: Ein Straßenwärter entdeckte eine Bombe ungefähr drei Meter hoch an einem Baum. Der Baum hätte wie eine Schranke über die Straße fallen sollen, die Ladung hat aber nicht gezündet. Der Mann wollte die Bombe entschärfen, dann ist sie losgegangen. Es war ein Unfall. Die Bomben waren wackelig, zum Teil selber gebaut, da haben wir alle riskiert. Wir haben aber immer aufgepasst und nur da gesprengt, wo keine Häuser und keine Leute waren. Später jedoch wäre das Ganze wahrscheinlich radikaler geworden, wenn wir vorher nicht alle verhaftet worden wären. Obwohl, wie das da in den Bergen hätte zugehen sollen, das wussten wir alle nicht, wir waren ja nicht zum Partisanenkrieg ausgebildet. Die Pusterer Buam hatten großes Glück, dass man sie nicht erwischt hat, als sie später zu Fuß über die Berge kamen, um weitere Anschläge zu verüben. Auch in der Rudl oben sollen sie ein Versteck gehabt haben. Die Carabinieri kannten sich in den Bergen nicht aus, das war der große Vorteil der Pusterer Buam. Wir, die verhaftet worden sind, haben unsere Strafe abgesessen und sind dann wieder nach Hause zurückgekommen und hatten dann mehr oder weniger unsere Ruhe: Wir sind zwar noch jahrelang bewacht worden. Meine Frau hatte eine Pacht etwas außerhalb von Bozen, die Haselburg. Dort waren ein Gasthaus und eine Landwirtschaft, und da war Tag und Nacht jemand im Berg oben, der uns beobachtet hat. Wenn ich in die Stadt zum Einkaufen bin, da fuhren im Auto immer die gleichen Gesichter hinter mir her, natürlich kannte ich die mit der Zeit. In der Haft sind drei gestorben, der Höfler Franz und der Gostner Toni, die haben zu viel Schläge gekriegt. Der Kerschbaumer Sepp wird wohl einen Herzinfarkt gehabt haben. Den Gostner Toni haben sie nach dem Urteil wieder vom Gefängnis herausgeholt und geschlagen, das war gesetzeswidrig. Durch die Schläge auf den Rücken und auf die Beine können sich Blutgerinnsel bilden, wenn die zum Herz kommen, dann ist es vorbei. Natürlich heißt es dann „eines natürlichen Todes“ gestorben, aber da gehen die Meinungen auseinander. Aus politischen Gründen passieren heute Misshandlungen wie früher, vielleicht mit noch schlimmeren Methoden, so dass man gar keine Wunden sieht. Unsere Freiheitskämpfer haben sie noch mit brennenden Zigaretten verletzt. Und vor allem mit Quarzlampen: In die musste man stundenlang hineinschauen, währenddessen die Hände ständig hoch halten. Wenn die Hände langsam nach unten sanken, hast du eine mit dem Gewehrkolben gekriegt. Die Quarzlampen waren so stark, da hast du nichts gesehen, tagelang nicht mehr, einige haben ihr Augenlicht dadurch für immer geschädigt. Dazu war es warm, und so musste man stundenlang stehen. Und immer nackt! In dem Moment, wo du nackt bist, hast du nur noch die halbe Kraft. Sie können dich ja befragen, tagelang befragen, aber sie können dich nicht ohne Essen, ohne Trinken, ohne Schlaf und schon gar nicht ohne Kleidung lassen. Die Carabinieri sagten, für die Verhöre hätten sie „carta bianca“. Sie konnten mit uns also tun, was sie wollten. Vom Innenminister Scelba ging das aus. Das steht auch in den Büchern drin. In Eppan in der Kaserne waren die Misshandlungen am brutalsten. Verhöre gab es in Neumarkt, Meran und Bozen, und wenn sie da nicht zufrieden waren, kam man zur Spezialbehandlung nach Eppan, dort ist es richtig aufgegangen. Die hatten dort bestimmte Leute, du brauchst da nämlich die gewissen Leute, alle können das nicht. Nach einigen Tagen kannst du nicht mehr! Die Carabinieri wechselten sich ja laufend ab, du aber hattest keine Pause. Da willst du nur noch sterben! Das kann man nicht beschreiben, nur noch tot sein willst du da. Du sagst alles, was sie hören wollen. Auch das was du nicht getan hast, gibst du noch zu.
Ich war drei Jahre im Gefängnis, und am 19. Juli vor 47 Jahren bin ich nach Hause gekommen. Schon am 18. Juli gegen 10 Uhr sind wir in Mailand mit dem Bus abgeholt worden. Als wir zu Hause ankamen, war es der 19. Juli, weil der Bus eine von der Polizei angegebene Route fahren musste. Sie befürchteten, es seien viele Leute da, um uns zu empfangen. Zum Teil war es dann auch so. Die Bevölkerung stand hinter uns – einzelne Gegner wird es immer geben – aber der Großteil war auf unserer Seite. Das hat man auch bei den Beerdigungen gemerkt.
Beim Kerschbaumer waren 25.000 bis 30.000 Leute, von Frangart bis Pauls standen die Leute wie bei einem Festumzug am Straßenrand. Auch meine Frau – wir kannten uns damals schon – hat immer zu mir gehalten. Das gab Kraft. Die Menschen waren sehr überrascht von der Heftigkeit der Anschläge. Beim Mailänder Prozess wurde vielen bekannt, wogegen wir uns mit den Anschlägen gewehrt hatten. Ohne diesen Prozess hätten wir im Autonomiebestreben nicht viel Erfolg gehabt.
Bis dahin wusste ich nichts vom Art. 241. Ein Verstoß gegen diesen Artikel hatte lebenslängliche Haft zur Folge, und dies war der Fall, wenn jemand offen die Selbstbestimmung befürwortete. Deswegen bezeichnete der Altlandeshauptmann Magnago auf Sigmundskron sein Streben als „Los von Trient“ und nicht „Los von Rom“. Beim Prozess war es für uns wichtig auszusagen, dass man die Autonomie wollte, jedoch nicht die Selbstbestimmung. Die Verhandlungen der Außenminister mit Bruno Kreisky sind im Sand verlaufen, die haben nichts gebracht. Der italienische Innenminister hat abgewinkt, es sei eine innerpolitische Angelegenheit. Südtirol habe seine Autonomie erhalten, da sei nichts weiter zu machen. Nach den Sprengungen aber kam es zur 19er-Kommission, dann brachten die Verhandlungen auf einmal etwas.“
Die Frage an Franz Riegler, ob er noch Kontakt zu den früheren Kameraden habe, bejahte er. Einmal im Jahr treffen sie sich noch. Nicht mehr alle können kommen. Sie nehmen ihre Frauen mit, kochen Polenta, essen eine Wurst dazu und ratschen ein bisschen. Über die alten Zeiten wird kaum mehr geredet. Bereuen? Nein, er bereue nichts, das hat so sein müssen. Wie zufrieden er mit der Gemeindepolitik und mit dem Dorfleben in Welsberg allgemein sei, wollten wir auch noch wissen. Er meinte, wirtschaftlich sei es wohl eine starke Gemeinde, aber vom Volkspolitischen und Religiösen her gesehen, da wünschte er sich vieles anders. Und immer wieder unterstrich er, dass sich die Leute für die Geschichte interessieren sollten.