ST. PAULS – Am Samstag, den 8. Dezember 2012, wurde in St. Pauls traditionsgemäß der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre gedacht. An die 1.500 Personen, davon etwa 1.200 Schützen und Marketenderinnen waren der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Schützenbundes und des Südtiroler Heimatbundes gefolgt, um bei dieser Gedenkfeier ihren Respekt, ihre Achtung sowie ihren Dank an jene Männer auszudrücken, die für die Freiheit der Heimat ihr Leben lassen mussten. Die Gedenkansprache hielt in diesem Jahr Sigmund Roner aus Tramin, ein ehemaliger Weggefährte Sepp Kerschbaumers, der selbst an den Anschlägen im Jahre 1961 beteiligt war und daraufhin zu 3 Jahren Haft verurteilt wurde.
Die Feier begann um 10.45 Uhr mit der Meldung der angetretenen Formationen durch den Bozner Bezirksmajor Siegfried Barbieri an den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Mjr. Elmar Thaler, in der Paulsnerstraße. Es folgte die Frontabschreitung durch LKdt. Thaler (Südtiroler Schützenbund) und Roland Lang (Südtiroler Heimatbund) sowie den LKdt. aus dem Norden, Mjr. Fritz Tiefenthaler (Bund Tiroler Schützenkompanien) und seinen Amtskollegen aus dem Süden, Mjr. Paolo Dalprà (Welschtiroler Schützenbund). Die Musikkapelle Girlan begleitete anschließend die Schützen durch die Gassen von St. Pauls zum Kirchgang in die Pfarrkirche, dem „Dom auf dem Lande“.
Dort zelebrierte Pater Reinald Romaner OFM die Heilige Messe. In seiner Predigt erläuterte er den Begriff der „Kameradschaft“. Er zitierte dabei aus dem neuen Buch von Altbischof Reinhold Stecher, der einen treuen Kameraden im Zweiten Weltkrieg verloren hat. Nach dem Kirchgang wurde zum Friedhof marschiert, wo Roland Lang, der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, alle Anwesenden begrüßte.
Anschließend ergriff Gedenkredner Sigmund Roner das Wort. Dieser schloss sich bereits im jugendlichen Alter von siebzehn Jahren der Gruppe um Sepp Kerschbaumer an. Er beteiligte sich bei dessen politischen Aktionen und übernahm für ihn auch Botengänge. Im Jahre 1961 war Sigmund Roner bei den Sprengungen beteiligt und wurde daraufhin zu drei Jahren Haft verurteilt.
Sepp Kerschbaumer war ein Mensch mit Sinn fürs rechte Maß und das politisch Machbare. Er war der Ansicht, dass man nur das machen dürfe, was man vor sich selbst, vor der Welt und vor Gott verantworten kann. Daher bestand er auch darauf, dass Menschenleben geschont wurden“, so Roner. Nach der großen Verhaftungswelle im Juli 1961 sei es Kerschbaumer ein großes Anliegen gewesen, dem Prozess eine politische Note zu geben. Gleich zu Beginn seiner sich über zwei Tage hinziehenden Einvernahme vor dem Schwurgericht habe Kerschbaumer erklärt: „Für alles was geschehen ist, übernehme ich die Verantwortung.“ „Dies hört sich einfach an, vergegenwärtigt man sich aber die Anklageschrift, dann erfasst man vielleicht einigermaßen, welche Last er damit auf seine Schultern genommen hat“, meinte Roner.
Anschließend spannte der Gedenkredner einen Bogen in die heutige Zeit. Auf die Aussagen Montis, dass Süd-Tirol eine interne Angelegenheit sei, hätte Süd-Tirol mit einer Stimme reagieren müssen.
Österreich ist die Schutzmacht Süd-Tirols. Österreich hat das Recht und die Pflicht, die Anliegen Süd-Tirols zu vertreten“, stellte Roner klar.
Abschließend spielte die Musikkapelle Girlan das Lied vom „Guten Kameraden“ und am ehemaligen Grab Kerschbaumers (heute liegt Sepp Kerschbaumer in Frangart, in seinem Heimatdorf begraben) wurde ein Kranz niedergelegt. Mit eingebunden wurden dabei auch die Mitstreiter Sepp Kerschbaumers: Franz Höfler, Anton Gostner, Luis Amplatz, Jörg Klotz und Kurt Welser. Die Ehrensalve feuerte die Ehrenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan ab.
Es folgten die Schlussworte des Landeskommandanten Elmar Thaler. Er bedankte sich vor allem bei den hohen Gästen aus dem Vaterland. Die Anwesenheit von Martin Graf (dritter Präsident des österreichischen Nationalrates), der Nationalratsabgeordneten Hermann Gahr und Werner Neubauer sowie von Altlandeshauptmann Wendelin Weingartner, hat der Feier eine besondere Note gegeben.
Aus der hiesigen Politik waren die Abgeordneten zum Südtiroler Landtag Martha Stocker, Eva Klotz, Ulli Mair, Pius Leitner, Roland Tinkhauser, Sigmar Stocker und Sven Knoll gekommen.
Abgeschlossen wurde die sehr würdige Gedenkfeier traditionsgemäß mit der Tiroler Landeshymne.
Gedenkansprache von Freiheitskämpfer Sigmund Roner
Liebe Landsleute, Liebe Anwesende aus nah und fern!
Wie jedes Jahr um diese Zeit kommen wir an dieser Stätte zusammen, um jener zu gedenken, die sich für unsere Heimat eingesetzt und auf schicksalhafte Weise ihr Leben verloren haben: Sepp Kerschbaumer, Luis Amplatz, Franz Höfler, Toni Gostner, Kurt Welser und Jörg Klotz. Wir möchten auch jener Kameraden gedenken, die eine Strecke des Weges mit uns gegangen sind, und auch schon lange nicht mehr unter uns sind.
Eine solche Gedenkveranstaltung soll immer auch Anlass sein, einige grundsätzliche Gedanken auszusprechen und Tatsachen in Erinnerung zu rufen. Aus zwei Gründen möchte ich mich näher mit Sepp Kerschbaumer befassen. Erstens ist Kerschbaumer bei den Gedenk-Veranstaltungen um die „Feuernacht“ ziemlich in den Hintergrund gerückt. Zweitens hat Sepp Kerschbaumer Grundsätze vertreten, die heute noch gültig sind. Es steht außer Zweifel, dass er es war, der den Impuls für den Aufbau einer landesweit vernetzten Organisation gegeben hat. In der Anfangszeit sollte diese Organisation – die damals noch keinen Namen hatte – nur einen passiven Widerstand leisten. Erst als man zur Erkenntnis kam, dass der Kampf gegen die Majorisierungspolitik Roms mit den „Waffen des Geistes“ nicht aufzuhalten war, ging man zum Sprengstoff über. Auch in dieser Phase gab Kerschbaumer die Richtung und die Strategie vor. Er war ein Mensch mit Sinn fürs rechte Maß und das politisch Machbare. Er war der Ansicht, dass man nur das machen dürfe, was man vor sich selbst, vor der Welt und vor Gott verantworten kann. Daher bestand er auch darauf, dass Menschenleben geschont wurden.
Nach der großen Verhaftungswelle im Juli 1961 war es ihm ein Anliegen, dem Prozess eine politische Note zu geben. Dies sei noch ein Dienst, den wir in unserer Lage noch für die Heimat leisten können. Auch hier gab er durch sein Verhalten die Richtung vor: Gleich zu Beginn seiner sich über zwei Tage hinziehenden Einvernahme vor dem Schwurgericht erklärte er: „Für alles was geschehen ist, übernehme ich die Verantwortung“. Dies hört sich einfach an, vergegenwärtigt man sich aber die Anklageschrift, dann erfasst man vielleicht einigermaßen, welche Last er damit auf seine Schultern genommen hat.
Die Staatsanwälte jedenfalls konnten ihm eine gewisse Anerkennung nicht versagen. So schrieb der Staatsanwalt Antonio Corrias in seiner Anklageschrift: Kerschbaumer ist ohne Zweifel der Chef (Capo) des BAS. Er weiß, dass er es ist, und er weiß es auch zu sein: „Sa di esserlo e sa esserlo“. Und der Staatsanwalt Mauro Gresti musste beim Prozess in Mailand zugeben, dass der Staat in Südtirol viele Fehler gemacht habe. Die Angeklagten hätten aber die falschen Mittel gewählt und sich dadurch vor dem Gesetz schuldig gemacht.
Das Gericht verurteilte Sepp Kerschbaumer zu 15 Jahren und elf Monaten Gefängnis. Am 7. Dezember 1964 ist er im Gefängnis von Verona gestorben. Es gehört zur Tragik seines Schicksals, dass er den Erfolg seines Einsatzes nicht erleben konnte.
Er nahm das Urteil gefasst und mit Würde zur Kenntnis. Am Geschehen in Südtirol nahm er weiterhin Anteil bis zum letzten Atemzug. An den Spaltungstendenzen, wie sie in den sechziger Jahren unter der Südtiroler Volksgruppe wiederholt aufgetreten sind, litt er schwer. Im Grundsätzlichen, so seine Ansicht, muss sich eine ethnische Minderheit einig bleiben. Zerfällt die Einheit, so zerfällt auch die Abwehrkraft. Diese einfache Wahrheit hat erst in den vergangenen Wochen eine Bestätigung erfahren. Auf die Aussage Montis, dass Südtirol eine interne Angelegenheit sei, hätte Südtirol mit einer Stimme reagieren müssen:
Österreich ist die Schutzmacht Südtirols. Österreich hat das Recht und die Pflicht, die Anliegen Südtirols zu vertreten.
Anstatt einer klaren Stellungnahme zu diesem Sager folgt ein Durcheinander von Meinungen. Erst nach krampfhaften Windungen und Wendungen kam es zu einem Konsens, zu einer klaren Linie in dieser Grundsatzfrage. Mit einem Zick-Zack-Kurs macht man in der Politik keinen Eindruck.
Klarheit im Wollen ist nach wie vor angesagt. Es ist nicht so, dass die Rechte Südtirols abgesichert sind. Eine Minderheit muss immer wachsam sein. Es muss uns zu denken geben, dass um uns herum Nationalismus und Zentralismus wieder ins Kraut schießen. Man muss sich wehren gegen den Zentralismus Roms und gegen die Gleichmacherei Brüssels. Man spricht zwar ständig von Rechten für bestimmte Gruppen. Und es gibt auch für alles und jedes einen Tag. Für die Rechte für ethnische Minderheiten hat man heutzutage wenig übrig.
Jede Zeit fordert für die Durchsetzung von Rechten ihre Mittel. Was in den sechziger Jahren angemessen war, ist heute überholt. Das ist Geschichte und soll sich nicht wiederholen. Die heutigen Probleme und Verhältnisse müssen mit anderen Methoden gelöst werden. Zu tun gibt es auch für die heutige Generation mehr als genug. Man täuscht sich, wenn man meint, dass heute alles amtlich geregelt sei. Im Gegenteil, die Institutionen sind heute schon vielfach überfordert. Und sie werden es in naher Zukunft noch mehr sein. Denken wir nur an die Veralterung der Gesellschaft, an das Problem der Zweitwohnungen, das manche Dorflandschaften zeitweise in Geisterviertel verwandelt und gleichzeitig verhindert, dass junge Leute ein eigenes Heim gründen können. Denken wir an die Zuwanderung, die vielleicht die größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein wird. Vom Ausland können wir in dieser Frage nur das eine lernen, dass man mit Nichtstun gar nichts löst. Hier wird man sich gewaltig anstrengen müssen, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind. Wir haben in Südtirol das große Glück, dass das Ehrenamt in unserer Gesellschaft noch einen hohen Stellenwert einnimmt. Zusammenhalt, Gemeinschaftssinn und Solidarität braucht es heute und morgen mehr denn je. Die Grundhaltung Kerschbaumers kann für uns auch hier richtungweisend sein. Im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns stand bei ihm immer der Mensch.
Schlussworte von Landeskommandant Elmar Thaler
Die Fahne allein genügt nicht, es braucht Männer, die sie tragen. Die Wahrheit allein genügt nicht, es braucht Menschen, die sie sagen.“
Und auch unser Gedenken allein genügt nicht. Wir werden dem Andenken an die Freiheitskämpfer von damals nur gerecht, wenn wir ihr Ansinnen auch weitertragen. Uns jeden Tag dafür einsetzen. Mit dem Ziel, dass auch für unser Land eines Tages die Stunde der Freiheit schlägt. Sepp Kerschbaumer hat in der damaligen Situation auf einem Flugblatt einmal gemeint: Landsleute, es ist fünf vor zwölf! Wir rufen daher alle Tiroler auf, sich endlich zu besinnen und zu handeln, ehe es zu spät ist. Es ist das letzte Aufgebot. Die Welt weiß es, der alte, echte Tiroler Geist, er ist noch nicht tot, er kann nicht tot sein. Er schläft, er glimmt im Verborgenen, in Dörfern und Städten.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, dann ist es in unserer Zeit auch 5 vor Zwölf. Glücklicherweise allerdings unter veränderten Vorzeichen. Fünf vor Zwölf für das Ziel vieler Freiheitskämpfer von damals, fünf vor Zwölf für die Freiheit unserer Heimat. Fünf vor zwölf, wenn wir nur dem Ausspruch von Prof. Felix Ermacora gerecht werden wenn er meint: „Keine Macht der Erde kann einem Volk auf die Dauer die Selbstbestimmung vorenthalten, auch Italien den Südtirolern nicht, aber wollen und verlangen muss man sie!“ Mit diesen Worten wollen wir uns wieder aufmachen, nach Hause, zurück in unsere Dörfer und Städte, auf in ein neues Jahr, das uns unter großem Einsatz unserem Ziel wieder ein Stück näher bringen wird, bringen muss.
Ich bedanke mich bei allen, die heute teilgenommen haben, besonders bei den Abgeordneten zum Österreichischen Parlament deren Anwesenheit allen Unkenrufen zum Trotz zeigt, wie wichtig unserer Schutzmacht unsere Heimat ist. Südtirol dankt Österreich, Südtirol dankt seinem Vaterland, und lasst das die Damen und Herrn im Nationalrat wissen, Südtirol bittet weiterhin.